Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)
retten.« Wieder drückte ich auf das
Aufziehrädchen. »Trink aufs Wohl von Jerry Sullivan, Kumpel.«
Wieder klimperten die Glöckchen. Acht ... neun ... zehn ... elf ... zwölf. Der Raum war still.
»Okay, ich habe nicht getrunken«, sagte George grinsend. »Und was passiert jetzt, du Pfadfinder?«
III.
Als ich mit dieser Geschichte anfing, habe ich gesagt, es wäre eine Mordgeschichte. Ich bin mir nicht so sicher.
Ich schaffte es heil bis zu den amerikanischen Linien und meldete dort, daß George sich aus Versehen mit einer Pistole umgebracht hat, die er in einem Graben gefunden hatte. Ich
unterschrieb eine eidesstattliche Versicherung, in welcher ich schwor, daß es sich so zugetragen hatte.
Was zum Teufel, er war tot und damit Ende, oder? Wem hätte es genutzt, wenn ich ihnen gesagt hätte, daß ich George erschossen habe? Meiner Seele? Vielleicht seiner?
Nun, der Militärische Geheimdienst roch schon bald, daß an der Geschichte etwas faul war. In Camp Lucky Strike, bei Le Havre, Frankreich, wo alle repatriierten Kriegsgefangenen auf
ihre Schiffspassage in die Heimat warteten, wurde ich in ein Zelt gerufen, in dem der Geheimdienst sein Büro hatte. Ich war seit zwei Wochen im Camp und sollte mich am nächsten Nachmittag
einschiffen.
Ein grauhaariger Major stellte die Fragen. Vor ihm lag die eidesstattliche Erklärung, und er überging die Geschichte mit der Pistole im Graben, ohne viel Interesse zu zeigen. Er
befragte mich ziemlich lange darüber, wie George sich im Kriegsgefangenenlager benommen hatte, und er wollte genau wissen, wie George aussah. Er machte sich Notizen über das, was ich ihm
sagte.
»Sind Sie sicher, daß Sie den Namen korrekt angegeben haben?« fragte er.
»Ja, Sir, und die fortlaufende Nummer ebenfalls. Hier ist eine seiner Hundemarken, Sir. Die andere habe ich an der Leiche belassen. Tut mir leid, Sir, ich hatte sie eigentlich schon vorher
abgeben wollen.«
Der Major studierte die Marke, befestigte sie schließlich an der eidesstattlichen Erklärung und ließ beides in einen dicken Aktendeckel gleiten. Ich sah, daß Georges Name
außen drauf stand. »Ich weiß nicht genau, was ich als nächstes damit machen soll«, sagte er und spielte mit dem Bindfaden, der den Aktendeckel zusammenhielt.
»Eine ziemliche Marke, dieser George Fisher.« Er bot mir eine Zigarette an. Ich nahm sie, zündete sie aber noch nicht an.
Das war’s. Gott weiß, wie, aber irgendwie haben sie die gesamte Geschichte herausgefunden, dachte ich. Ich wollte ganz laut schreien, aber ich lächelte weiter und hielt die
Zähne zusammengebissen.
Der Major ließ sich beim Formulieren des nächsten Satzes Zeit. »Die Marke ist gefälscht«, sagte er schließlich und lächelte ein bißchen. »Bei
der US Army wird niemand dieses Namens vermißt.« Er beugte sich vor, um mir Feuer zu geben. »Vielleicht sollten wir diesen Aktenordner den Deutschen übergeben, damit sie
seine nächsten Verwandten benachrichtigen können.«
Ich hatte George Fisher noch nie gesehen, bevor er acht Monate vor jenem Tag allein ins Lager gebracht wurde, aber ich hätte den Typ kennen sollen. Ich bin mit einigen Jungens aufgewachsen,
die so waren wie er. Er muß ein guter Nazi gewesen sein, um seinen Job bei der deutschen Abwehr zu kriegen, denn, wie ich schon sagte, ich weiß nicht, wie viele von ihnen es zurück
in die USA geschafft haben, aber mein Kumpel George Fisher war verdammt nah dran.
FÜR MICH IST DAS IDEALBILD EINES MANNES
EIN TYP ,
DER BEIM SCHIESSEN
ALLE SICHERHEITSVORSCHRIFTEN
BEACHTET .
DER SCHREIBTISCH DES KOMMANDANTEN
I ch saß vor dem Fenster meiner kleinen Möbelschreinerei in der tschechoslowakischen Stadt Beda. Meine
verwitwete Tochter Marta hatte für mich den Vorhang zurückgezogen, hielt ihn fest und beobachtete durch eine Ecke des Fensters die Amerikaner, wobei sie darauf achtete, mir mit ihrem Kopf
nicht die Aussicht zu versperren.
»Er soll sich doch mal umdrehen, damit wir sein Gesicht sehen können«, sagte ich ungeduldig. »Marta, zieh den Vorhang weiter zurück.«
»Ist das ein General?« sagte Marta.
»Ein General als Kommandant für Beda?« lachte ich. »Vielleicht ein Stabsunteroffizier. Wie wohlgenährt sie alle aussehen, was? Aaaaaah, sie essen –, und wie sie essen!« Ich strich mit der Hand über den Rücken meiner schwarzen Katze. »Jetzt, Mieze, brauchst du nur noch die Straße zu
überqueren, um zum erstenmal in deinem Leben amerikanische Sahne zu schmecken.« Ich
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