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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Vonnegut
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den Jungs was zu trinken.«
    Sie sahen froh die Flasche an, wippten auf den Füßen, nickten und kicherten. Sie bestanden höflich darauf, daß George den ersten Schluck auf den großen Tag für
das Volk trank. George grinste nervös. Die Flasche war schon fast an seinen Lippen, bevor sie ihm aus den Fingern glitt, auf den Fußboden knallte und uns ihren Inhalt über die
Füße goß.
    »Gott, das tut mir aber leid«, sagte George.
    Ich bückte mich, um sie aufzuheben, aber die Russen ließen mich nicht. »Wodka ist besser als dies deutsche Gift«, sagte der Russe mit den Deutschkenntnissen feierlich und
zog eine lange Flasche aus seiner Bluse. »Roosevelt!« sagte er, nahm einen großen Schluck und gab die Flasche an George weiter.
    Die Flasche machte viermal die Runde: zu Ehren von Roosevelt, Stalin und Churchill sowie darauf, daß Hitler in der Hölle briet. Der letzte Trinkspruch war meine Idee. »Auf
kleiner Flamme«, fügte ich hinzu. Die Russen fanden das ziemlich großartig, aber ihr Gelächter erstarb sofort, als ein Offizier beim Tor erschien, um nach ihnen zu
brüllen. Sie salutierten schnell vor uns, schnappten sich die Flasche und rannten aus dem Haus.
    Wir beobachteten, wie sie auf den Panzer kletterten, welcher rückwärts aus der Toreinfahrt fuhr und weiter über die Straße rumpelte. Die beiden winkten.
    Vom Wodka war mir anders, heiß und wunderbar zumute –, und ich war, wie sich herausstellte, aufsässig und blutrünstig geworden. George war fast volltrunken und
schwankte.
    »Ich hab’ nicht mehr gewußt, was ich tat, Sammy. Ich habe ...« Der Satz verlor sich. Er strebte zur Ecke, in der seine Pistole lag –, verdrießlich,
in Schlangenlinien, mit Silberblick.
    Ich stellte mich ihm in den Weg und zog die winzige Pistole aus meiner Hosentasche. »Sieh mal, was ich gefunden habe, Georgie.«
    Er blieb stehen und blinzelte sie an. »Sieht aus wie ein hübsches Stück, Sammy.« Er streckte die Hand aus. »Zeig mal her.«
    Ich entsicherte das hübsche Stück. »Setz dich, Georgie, alter Freund.«
    Er sank auf den Stuhl, auf dem ich zu Tisch gesessen hatte. »Ich kapier’ es nicht«, murmelte er. »Du würdest doch wohl deinen alten Kumpel nicht abknallen,
Sammy?« Er sah mich flehentlich an. »Ich habe dir einen korrekten Handel vorgeschlagen, stimmt’s? Bin ich nicht immer überaus ...«
    »Du bist doch zu intelligent, um zu glauben, daß ich dir die Hundemarken-Nummer durchgehen lasse, oder? Ich bin nicht dein Kumpel, und das weißt du auch, oder etwa nicht,
Georgie? Das hätte nur geklappt, wenn ich tot wäre. Hast du dir das etwa nicht auch so ausbaldowert?«
    »Alle hacken sie auf dem ollen George herum, seitdem Jerry dran glauben mußte. Ich schwöre bei Gott, Sammy, ich hatte nie etwas damit zu tun, daß er ...« Er
beendete den Satz nicht. George schüttelte den Kopf und seufzte.
    »Der arme, alte Georgie hat es wirklich nicht leicht ... Nicht mal genug Mumm, mich abzuknallen, als du die Gelegenheit hattest.« Ich hob die Flasche auf, die George hatten
fallen lassen, und stellte sie vor ihn. »Was du brauchst, ist tüchtig was zu trinken. Siehst du, George? Noch drei gute Schluck übrig. Bist du nicht froh, daß nicht alles
verschüttet wurde?«
    »Will nichts mehr, Sammy.« Er schloß die Augen. »Steck die Pistole weg, ja? Ich hab’s mit dir doch nie böse gemeint.«
    »Trink was, habe ich gesagt.« Er regte sich nicht. Ich setzte mich ihm gegenüber und hielt ihn immer noch mit der Pistole in Schach. »Gib mir die Uhr, George.«
    Er schien ganz plötzlich aufzuwachen. »Dahinter bist du her? Klar, Sammy, hier ist sie, wenn wir damit wieder quitt sind. Wie kann ich erklären, wie ich werde, wenn ich besoffen
bin? Ich verliere einfach die Kontrolle über mich, Kleiner.« Er gab mir Jerrys Uhr. »Hier, Sammy. Nach allem, was du wegen dem ollen Georgie durchmachen mußtest, hast du dir
sie weißgott verdient.«
    Ich stellte die Zeiger der Uhr auf 12 Uhr und drückte auf das Aufziehrädchen. Die winzigen Glöckchen klingelten zwölfmal, jede Sekunde zweimal.
    »In New York tausend Dollar wert, Sammy«, sagte George mit schwerer Zunge, während die Glöckchen klingelten.
    »So lange hast du, um aus dieser Flasche zu trinken, George«, sagte ich, »wie die Uhr braucht, um zwölf zu schlagen.«
    »Das kapier’ ich nicht. Was soll das?«
    Ich legte die Uhr auf den Tisch. »Wie du sagtest, George, das ist das Komische an Strychnin –, in kleinen Dosen kann es Leben

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