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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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offenbar brauchte man keine Augen, um zu begreifen, was eben geschehen war. Konsequenzen! Warum musste es immer Konsequenzen geben? Er würde für diese… Erniedrigung bezahlen. Um Hochmeister zu bleiben, musste man auch wie der Hochmeister handeln.
    Was hab ich nur falsch gemacht?, rief etwas Störrisches in ihm.
    »Das Wesen wird verlegt«, sagte sie. »Diese Kreaturen haben keine Seele, die Ihr mit Euren Formeln zwingen könntet… Da sind andere Mittel vonnöten.«
    Sie sprach in anordnendem Ton, und Eleäzaras begriff. Sie war gutaussehend, wunderschön sogar, ja verführerisch. Und dass sie dem Kriegerpropheten gehörte, gab seinem Begehren einen herrlich schmerzhaften Beigeschmack.
    »Der Kriegerprophet«, fuhr sie fort und sprach seinen Namen wie eine abgedroschene Drohung aus, »wünscht die Einzelheiten Eures Verhörs zu – «
    »Ist es wahr, was man sagt?«, platzte er heraus. »Stimmt es, dass Ihr früher mit Achamian zusammengewesen seid? Mit Drusas Achamian?« Natürlich wusste er, dass dem so war, aber irgendwie musste er es aus ihrem Munde erfahren.
    Sie sah ihn verblüfft an. Plötzlich hörte Eleäzaras die Stille geradezu, für die die schwarzen Filzwände sorgten.
    Das Blut des gesichtslosen Wesens tropfte zu Boden.
    »Spürt Ihr die Ironie nicht?«, fuhr er schleppend fort. »Gewiss tut Ihr das… Ich habe Achamians Entführung befohlen. Mir habt Ihr es zu verdanken, dass Ihr bei ihm… gelandet seid.« Er schnaubte. »Ohne mich wärt Ihr gar nicht hier.«
    Zwar grinste sie nicht hämisch – dafür war ihr Gesicht viel zu schön –, doch ihre Miene glühte vor Verachtung. »Schade, dass sich nicht noch mehr Menschen ihrer Fehler rühmen«, sagte sie.
    Eleäzaras wollte lachen, doch sie redete weiter, als wäre er nur ein knarrender Pfosten oder ein bellender Hund, nichts als Lärm also. Sie fuhr fort, ihm – dem Hochmeister der Scharlachspitzen! – zu sagen, was er zu tun hatte. Und warum auch nicht, da er so offensichtlich auf jede Entscheidung verzichtet hatte?
    Shimeh sei nah, sagte sie. Shimeh.
    Als ob Namen Zähne hätten.
     
     
    Es war einer dieser Schauer, die gegen Abend plötzlich einsetzen, den Tag verkürzen und binnen Minuten alles mit dem wollenen Tuch der Nacht bedecken. Der Regen fiel in Strömen, verschwand im Gras, schlug auf den nackten Boden und sprang vom dunklen Meer der Zeltdächer. Windstöße ließen den Wolkenbruch da und dort kurz zu Nebel zersprühen, und durchnässte Banner zappelten wie Fische am Haken. Heisere Rufe und Flüche hallten durchs Lager. Die Nachzügler mühten sich, ihre Zelte aufzustellen. Einige zogen sich aus, standen nackt da und ließen das Wasser den langen, langen Weg von ihrer Haut spülen. Esmenet rannte, wie viele andere auch.
    Bis sie den kleinen Pavillon fand, war sie völlig durchnässt. Die Wachposten der Hundert Säulen, die unerschütterlich im Platzregen standen, konnten sie nur mit ratlosem Mitgefühl ansehen. Das Leinen des Zelteingangs war glitschig und kalt, doch im warm erleuchteten Inneren erwartete Kellhus sie schon – und mit ihm Achamian.
    Sie drehten sich zu ihr um, doch Achamian sah rasch wieder den Hautkundschafter an, den Esmenet bei Eleäzaras beschlagnahmt hatte. Das Geschöpf schien ihm etwas zuzumurmeln.
    Der auf die Zeltplane trommelnde Regen klang wie ein Tosen im Hintergrund. Wasser tropfte durch Löcher in der Decke.
    Das Wesen war an den mittleren Zeltpfosten gekettet. Es war an den Handgelenken aufgehängt, und seine Füße hingen knapp über dem mit Binsen bedeckten Boden, damit es sich nicht abstoßen konnte. Es war nackt und schimmerte im Lampenlicht glänzend braun, in der Hautfarbe des sansorischen Sklaven also, den es ersetzt hatte. Folter hatte es entstellt: Seine Haut wies Verbrennungen, Striemen und seltsam gezackte Wunden auf, als hätte ein Kind mit einer Ahle oder einem Messer darauf herumgekritzelt. Die Finger seines Gesichts waren deutlich sichtbar und wirkten fast wie zu Fäusten geballt. Es rollte den Kopf, als hinge ihm ein Gewicht am Hals. Menschliches Erstaunen schien sich auf seinen Gesichtsfingern zu zeigen.
    Zwar war das Geschöpf nur kurz in Iyokus’ Gewalt gewesen, doch er hatte sich offenbar an ihm ausgetobt. Esmenet versuchte, nicht daran zu denken, wie Achamian unter der Behandlung dieses Mannes gelitten haben musste.
    »Chigraaaa… Ku’urnarcha murkmuk sreeee…«
    »Ein angeborener Drang…«, sagte Achamian, als nähme er einen unterbrochenen Gedanken wieder auf. »Wie bei

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