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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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lagen die Hügel von Jarta bleich und zerklüftet im Mondlicht. Im Osten erstreckte sich die Ebene von Shairizor mit ihren vielen Wäldern und Feldern, Scheunen und Ställen bis zum schwarzen Horizont, hinter dem, wie der Hordengeneral wusste, Shimeh lag…
    Das Herz der Menschen weit und des Gebiets der Drei Meere.
    Überall bemerkte er heimliche Zeichen des generationenlangen Wirkens der Menschen – Überreste dessen, was bedeutende Völker und deren ebenfalls längst vergessene Nachfolger geschaffen hatten: die Trümmer einer shigekischen Festung, die einst über diese Höhen geboten hatte; eine ceneische Straße, die schnurgerade durch die Ebene lief; das Gespür der Nansur für Verteidigung, wie es sich im konzentrischen Grundriss der Gipfelanlage bekundete; die Begeisterung der Kianene für ornamentalen Zuckerguss, der sie ihre Zinnen mit Blütenfriesen und ihre Fenster mit schmiedeeisernen Gittern hatte versehen lassen.
    Er reichte tiefer zurück als all das und war älter als ihr verdammter Stein.
    Kreisend verlor er an Höhe und näherte sich dem Außenhof der Gipfelanlage, wo er die Pferde seiner Kinder stehen sah. Er ließ sich auf einem Dachvorsprung nieder, dessen Lehmziegel noch immer Sonnenwärme abgaben, und wandte sich in einer Tonhöhe an sie, die außer ihnen nur Ratten hören konnten. Gleich kamen seine ergebenen und doch so treulosen Wesen durch dunkle, verlassene Flure gesprungen und krochen vor ihm im Staub. Seine Augen blitzten, und seine Kinder umklammerten einander so ängstlich wie verzückt.
    Jahrzehntelang hatten die Rathgeber die unbekannte Metaphysik der Cishaurim für die Enttarnung ihrer Kinder in Shimeh verantwortlich gemacht. Das hatte ihnen die Vorstellung, die Fanim könnten das Kaiserreich Nansur eines Tages erobern, unerträglich werden lassen. Es durfte einfach nicht sein, dass das halbe Gebiet der Drei Meere gegen ihr Gift immun wurde! Daher hatten die Rathgeber im Heiligen Krieg eine günstige Gelegenheit gesehen, gegen die Cishaurim vorzugehen.
    Aber die Lage hatte sich allzu schnell geändert. Sie hatten erkennen müssen, dass die Cishaurim nur die Maske eines viel älteren Feindes waren und dass ihre eigenen Täuschungen, mit denen sie schon so weit gekommen waren, von etwas noch viel Raffinierterem unterminiert wurden, das zudem völlig neu war.
    Von den Dunyain.
    Hier ging es um weit mehr als um einen Sohn, der seinen Vater jagte. Über ihre heimtückischen Methoden und beunruhigenden Fähigkeiten hinaus waren die Dûnyain noch Anasûrimbor. Auch ohne die Prophezeiungen der Mandati machte sie dies zu Feinden. Wer war dieser Moënghus? Und wenn sein Sohn sich das Heer des Gebiets der Drei Meere in nur einem Jahr hatte unterwerfen können, was mochte Moënghus dann im Zeitraum von dreißig Jahren erreicht haben? Was erwartete den Heiligen Krieg in Shimeh?
    So verwirrt der Scylvendi auch war, hatte er in einem Punkt doch richtig gelegen: Die Dûnyain hatten bereits zu viel an sich gerissen. Man durfte ihnen nicht auch noch die Gnosis überlassen.
    Aurang, dessen uralte Seele an den Nähten des Mischwesens riss, in dem er steckte, setzte ein sonderbar zuckendes Vogellächeln auf. Wie lange war es nun her, dass er in einen Wettstreit getreten war, der diesen Namen verdiente?
    Seine Kinder wanden sich immer noch am Boden und hoben die rissigen Gesichter zum Himmel.
    »Bereitet hier alles vor«, befahl er.
    »Aber Altvater«, sagte Ûssirta, der Wagemutige von beiden, »wie könnt Ihr Euch sicher sein?«
    Er wusste es eben. Er war der Kriegsherr.
    »Der Anasûrimbor rückt auf der Via Herotia vor. Ehe er die Ebene quert, wird er Rast machen, den Feldzug neu organisieren und seine Pläne überdenken. Der Scylvendi hat recht: Er ist nicht wie die anderen.« Ein gewöhnlicher Mensch – sogar ein Anasûrimbor – würde dem Eifer erliegen, der die Schritte derer beschleunigt, die ein hart erkämpftes Ziel zu Gesicht bekommen haben. Ein Dûnyain aber beugt sich nicht.
    Menschen! Während der Ersten Kriege waren sie kaum mehr als Wildhundrudel gewesen. Wie hatten sie sich so entwickelt?
    »Ist es bald so weit, Altvater?« rief Maörta, der andere.
    Aurang betrachtete die mitleiderregende Kreatur, sein elendes Werkzeug. Wie wenige von ihnen übrig geblieben waren!
    »Das Opfer ist gebracht«, sagte er, ohne auf die Frage einzugehen. »Der Anasûrimbor wird denken, er sei uns bereits zuvorgekommen. Wenn er dann hierher gelangt…«
    Vor der Ankunft der Dûnyain hatten die Rathgeber

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