Der tausendfältige Gedanke
wie er Esmenet erst in gleißendem Licht umarmte, und sah sie dann blutend und gebrochen zu seinen Füßen. Worte verzweigten sich immer weiter und liefen teils auf die Apokalypse, teils auf die Rettung zu. Von all seinen Begegnungen seit dem Verlassen von Ishuäl hatte keine eine größere… Genauigkeit verlangt.
Die Rathgeber waren gekommen.
»Wir sind Menschen wie andere auch«, gab er zurück.
Nachdem sie kurz hinter ihm gestanden hatte, stolzierte sie splitternackt an den Säulen entlang.
»Das glaube ich dir nicht«, sagte sie, als sie sich auf einem schwarzen Bambussofa niederließ.
Aus dem Augenwinkel sah er, wie sie sich an die Brüste griff und die Hände über den Bauch abwärts gleiten ließ.
»Dein Samen«, murmelte sie, »schmeckt bitter…«
Das soll mich provozieren.
Er wandte sich zu ihr um und konzentrierte sich auf sie. Ihr Puls war unregelmäßig, ihre Atmung flach, und sie schwitzte stark. Er roch ihre salzige Haut in der Nachtluft. Selbst die Hitze ihres Schoßes vermochte er zu spüren, doch ihre Gedanken… Die Fäden zwischen ihrem Gesicht und ihrer Seele schienen durchtrennt und an etwas befestigt worden zu sein, das so geschmeidig wie fremd war.
Und nicht menschlich.
Kellhus lächelte wie ein Vater, der einem anmaßenden Kind behutsam eine Lektion erteilen will. »Ihr könnt mich nicht töten«, sagte er. »Ich bin euch überlegen.«
Sie grinste hämisch. »Wie kannst du das sagen? Du weißt nichts von mir und den meinen.«
Obwohl er nicht feststellen konnte, woher ihre Stimme und ihre Miene stammten, war das spöttische Lächeln, das auf ihre Lippen trat, unmissverständlich: Was da von Esmenet Besitz ergriffen hatte, verabscheute es, herablassend behandelt zu werden.
Es war stolz.
Sie lachte. »Dachtest du, Achamians Geschichten könnten dich vorbereiten? Was die Mandati träumen, ist nur ein Bruchteil dessen, was ich erlebt und gesehen habe. Ich bin im Schatten des Nicht-Gotts gewandelt, habe bis ans Ende der Leere geschaut und deine Welt mit meiner Fingerspitze verdeckt… Nein, du weißt nichts von mir und den meinen.«
Ihre Pupillen waren erweitert, Hals und Brust unmerklich errötet. Mit den Fingern strich sie sich über den Bauch. Kellhus dachte an die Sranc und ihre Blutlust und daran, wie sehr die Aussicht auf Gewalt Sarcellus an jenem Abend am Feuer der Galeoth erregt hatte.
Wie ähnlich das alles war!
Er erkannte, dass ihre Schöpfungen nach ihrem Bild geformt waren. Sie hatten ihnen ihre Gelüste eingepflanzt und ihren Hunger zum Instrument der Herrschaft über sie gemacht.
»Wer seid ihr also?«, fragte Kellhus. »Wer sind die Inchoroi?«
»Wir sind ein Volk von Liebenden«, gurrte sie.
Diese Antwort hatte er erwartet. Alles, was er von Achamian über diese Scheusale erfahren hatte, kreiste nicht einzeln und klar umrissen, sondern vage und unüberschaubar durch seine Seele. Er ließ seine Gesichtsmuskulatur erschlaffen, um den Eindruck tiefer Trauer zu erwecken. »Und dafür seid ihr verdammt.«
Er merkte, dass ihre Nasenlöcher sich blähten und ihr Puls sich ein wenig beschleunigte.
»Wir wurden um der Verdammnis willen geboren«, sagte die Stimme mit trügerischer Ruhe. »Grenzüberschreitung ist, was uns eigentlich ausmacht. Sieh dir diesen wunderbaren Körper an – die herrliche Brust und den Tempel zwischen den Schenkeln. Ich habe mich seiner bemächtigt, weil ich muss. Und dafür«, stieß sie keuchend hervor, »dafür soll ich mich schreiend in Seen aus Feuer krümmen?«
Kellhus war nicht klar, wie intelligent dieses Wesen war und worauf es hinauswollte, doch er wusste, dass es nachtragend war. Jeder legte sich schließlich ein Arsenal von Selbstrechtfertigungen zu und beschuldigte die anderen, ihn misszuverstehen. Ein Kreis kann nur einen Mittelpunkt haben.
»Selbstverleugnung ist der Weg«, sagte Kellhus. »Und Grenzen liegen in der Ordnung der Dinge.«
Das Wesen erwiderte seinen Blick, wie Esmenet es nie gekonnt hätte, und gab ihm zu verstehen, er sei etwas Jämmerliches und Abscheuliches. Es sieht, was ich vorhabe.
»Aber du«, höhnte die Stimme fast atemlos, »du könntest die heiligen Schriften, die meine Verdammnis bestimmen, neu schreiben, was, Prophet?« Sie lachte laut auf.
»Für Wesen wie dich gibt es keine Vergebung.«
»Aber natürlich gibt es die…«
»Du würdest also die Welt zerstören?«
Sie zitterte erregt. »Um meine Seele zu retten? Solange es Menschen gibt, gibt es Verbrechen. Und solange es Verbrechen gibt, bin
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