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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Beziehung zu Esmenet verwurzelt gewesen war.
    Nun dagegen war alles ins Rutschen geraten, wirbelte in einer immer steileren Lawine aus Sehnsucht und Hass dahin und drängte Shimeh entgegen.
    »Wahrheiten sind seine Messer, und jeden von uns hat er damit getroffen!«
    Was geschah hier bloß?
    Um überhaupt etwas zu wissen, musste man eine immerhin vage Vorstellung davon haben, wo man stand. Kein Wunder also, dass er sich aus Angst, er könnte fallen, selbst hier – auf der weiten Ebene von Shairizor und im langen Schatten Shimehs – besorgt an die Brust griff.
    »Frag dich, Hexenmeister, ob es etwas gibt, das er dir nicht genommen hat.«
    Seine Verdammnis war ihm sehr lieb gewesen.
    Die Feuer auf Shimehs Mauern leuchteten im Morgenlicht immer schwächer. Bald waren sie nur noch orangefarbene Flecken zwischen den Zinnen.
    Die Fanim sahen erstaunt über die Felder. Der Anblick der vier Belagerungstürme – von denen sich zwei links, zwei rechts des Massus-Tors befanden – hatte sie bestürzt, denn alle waren sich darüber einig gewesen, die Götzendiener würden Wochen brauchen, um einen Angriff vorzubereiten. Nun beobachteten sie die seltsamen Formationen, die sich vor ihrem Tor sammelten. Die meisten Männer auf den Zinnen waren einfache, mit Werkzeugen oder Überbleibseln vergangener Kriege bewaffnete Soldaten, doch es befanden sich auch zweitausend Überlebende der lange zurückliegenden Schlacht bei Mengedda unter ihnen, und sogar sie waren fassungslos. Ihr Herr, Hamjirani, wurde auf die Mauer gerufen, um sich selbst ein Bild zu machen. Eine Zeit lang debattierte er mit seinen Granden, um sich schließlich empört zurückzuziehen.
    Die auf den Hängen des Juterums – des Bergs der Himmelfahrt – platzierten Trommler der Heiden begannen, auf ihre Instrumente einzuschlagen. Wie zur Antwort dröhnten die Hörner der Inrithi so lange, wie die Atemluft der Bläser es zuließ.
    Kleine Gruppen begannen sich dem Tor zu nähern, das die Fanim Pujkar und die Inrithi Massus nannten. Auf den Mauern riefen mehrere Männer nach ihren Offizieren, da sie annahmen, die Götzendiener wollten verhandeln. Doch die Adligen befahlen ihnen zu schweigen. Bogenschützen bekamen Signal, ihre Waffen in Anschlag zu bringen.
    Auf einer Breite von etwa hundert Metern näherten sich vierzig kleine Einheiten, die jeweils etwa zehn Schritte voneinander entfernt waren und, wie die Verteidiger nun sahen, aus je sechs Männern bestanden, von denen fünf auf gleicher Höhe gingen, während einer hinter ihnen blieb. Alle trugen ein purpurnes Gewand unter dem silbernen Brustpanzer. Kleine Wimpel flatterten von den Spitzen ihrer Helme, wobei jede Einheit eine andere Farbe und ein anderes Zeichen hatte. Die Gesichter waren alle weiß bemalt, wie es bei den Ainoni Kriegssitte war, und in jeder Einheit trugen die Männer, die außen gingen, schwere Armbrüste – genau wie der Einzelne, der hinten ging. Zwei Männer in gleicher Rüstung marschierten auf der Innenseite der Armbrustschützen und trugen riesige geflochtene Schilde aus Korbware, die sie fast völlig verdeckten. Bis auf einige Umrisse war von den Gestalten, die zwischen und hinter den Schilden marschierten, nichts zu erkennen.
    Die Unerfahrenen unter den Kämpfern der Fanim begannen zu spotten, doch ein umlaufendes Flüsterwort ließ sie rasch totenstill werden – ein Wort, das selbst die ahnungslosesten Amoti kannten und fürchteten: Qurraj.
    Hexenmeister.
    Wie als Antwort auf eine Gesprächspause dröhnte ein jenseitig anmutender Chorgesang von den nahenden Einheiten herüber, aber nicht so sehr durch die Luft, als vielmehr unter den verbrannten Feldern und zerstörten Bauten hindurch und dann an Shimehs mächtiger Stadtmauer hinauf zu den Zinnen. Die Katapulte schleuderten erste Feuertiegel. Flüssige Flammen loderten an den Wänden des Abwehrzaubers auf, der jede Einheit umgab. Eine Wolke dämpfte das Sonnenlicht, und alle Verteidiger sahen plötzlich die Grundfesten geisterhafter Türme.
    Tiefes Erschrecken packte sie. Wo waren Indaras Wasserträger?
    Die Fanim, die weglaufen wollten, wurden von ihren Offizieren niedergestochen. Der unheilige Chorgesang wurde lauter. Die vorderen Einheiten blieben etwa fünfzig Längen vor den Wällen stehen. Vereinzelte, in Panik abgeschossene Pfeile lösten sich an dem Abwehrzauber in Rauch auf. Kolonnen von Fußsoldaten rückten zwischen den Einheiten vor, hinter denen – außer Reichweite der Bogenschützen – einzelne Gestalten in die Luft

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