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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Vorstellung davon, wie stark sie wirklich waren. Nun sahen sie sich den größten Psûkari gegenüber – Seökti, Inkorot, Hab’hara, Fanfarokar, Sartmandri – und waren ihnen nicht gewachsen.
    Kurz vor seinem Zusammentreffen mit Inkorot sang Sarosthenes nur mehr Abwehrformeln. Blendendes Licht stürzte mit solcher Gewalt auf ihn ein, als wollte es die Erde aus den Angeln heben. Seine Javreh-Schildträger jammerten und bemühten sich verzweifelt, wieder auf die Beine zu kommen. Der magische Schutzwall zersprang und wurde in großen Stücken weggerissen. Sarosthenes’ Lied verging in gleißendem Todeskampf.
    Eleäzaras war ganz in der Nähe des Überraschungsangriffs der Cishaurim gewesen. Bedrängt von Fanfarokar und von Seökti, dem Heresiarchen, blieb auch ihm nichts anderes übrig, als eine Abwehrformel nach der anderen zu singen. Der Heresiarch schwebte halbhoch vor ihm. Seine Nattern wanden sich, um die Zerstörung ringsum in Augenschein zu nehmen, und durch die vielen Blitze, die er in alle Richtungen entsandte, wirkte seine Gestalt übernatürlich weiß. Fanfarokar griff Eleäzaras von rechts aus der Deckung eines eingestürzten Gotteshauses an. Die Worte, die Worte! Der Hochmeister konzentrierte all seine Kunstfertigkeit, all sein Geschick auf die gesprochenen wie die unausgesprochenen Worte. Die Welt außerhalb seiner Mauern wurde durch blendendes Licht erschüttert und schließlich gesprengt. Er aber sang und sang, um seinen engen Abwehrkreis aufrechtzuerhalten.
    Für den Luxus der Verzweiflung blieb ihm keine Zeit.
    Dann folgte – einem Wunder gleich – eine kurze Ruhepause. Abgesehen vom bösen Glühen der Brände wurde es dunkel. Trotz des Prasseins und Knisterns hörte Eleäzaras ein einsames Horn durch die Zerstörung tönen. Scharlachspitzen wie Cishaurim blickten sich blinzelnd und verwirrt um. Dann sah Eleäzaras sie grellrot im Dunkeln leuchten: Thunyeri in schwarzer, blutbespritzter Rüstung, die sich in langer Linie auf dem welligen Terrain gesammelt hatten und deren maisfarbene Bärte im Wind der großen Feuer wehten. Und er entdeckte an der Standarte von Prinz Hulwarga das schwarze Zirkumfix auf rotem Grund.
    Männer des Stoßzahns waren gekommen, um sie zu retten.
    Eine gewaltige Reiterschar der Kianene kam den am Aquädukt versammelten Inrithi Schlachtreihe für Schlachtreihe über die Felder entgegengetrabt. Die Männer des Stoßzahns erwarteten sie mit gesenktem Speer und erhobenem Schild und erkannten die Standarten nunmehr altbekannter Feinde: Da waren die Khirgwi, die das Werk der Wüste vollenden wollten; die Granden aus Nenciphon und Chianadyni, die vor Caraskand so furchtbar gelitten hatten; die Girgashi von König Pilaskanda, die gut fünfundzwanzig ihrer gefürchteten Mastodonten dabeihatten; die Überlebenden von Gedea und Shigek unter Ansacer; die duldsamen Reiter aus Eumarna und Jurisada unter Cinganjehoi, dem es gelungen war, die Inrithi zeitweise vor sich herzutreiben; und schließlich unter dem Banner des Padirajah die furchtlosen Coyauri, deren Rüstung golden erglänzte, wenn ein Sonnenstrahl durch den Rauch fiel.
    Alles, was von einer stolzen und wilden Nation geblieben und nun zur letzten Abrechnung gekommen war.
    Links von den Inrithi trieb Rauch über die Stadt und verdunkelte den Ersten Tempel und die Heiligen Höhen. Nur ab und an flackerten glühende Lichter kurz durch die schwarzen Wolken, und aus der Ferne dröhnte und donnerte es grimmiger als heidnisches Trommeln.
    Die Männer aus Nangael mit ihren geflochtenen Bärten begannen, eine der unirdischen Hymnen des Kriegerpropheten zu singen, und die Numaineiri stimmten ein. Bald sang die ganze Kampflinie der Inrithi mit tiefer Krieger stimme:
     
    Wir Söhne vergangener Sorgen
    Und Erben des alten Glaubens,
    Wir bringen dem Morgen Ruhm
    Und wüten gegen das Heute…
     
    Die Kianene zogen zu lautem Beckenklang das Tempo an, und ihre Linien legten sich wie dunkle Schnüre über Äcker und Weiden. Plötzlich aber schlossen die hinteren Reihen zu den vorderen auf. Vorn reckten die Sapatishahs schreiend die Krummsäbel in die Luft. Ihre Granden und ihre grimmigsten Landsleute taten es ihnen gleich, und bald brüllten alle so wütend wie gekränkt.
    Wie viel Unrecht hatten sie nicht erlitten! Wie viele Tote waren ungerächt geblieben!
    Der Boden glitt unter ihnen dahin. Es ging nicht schnell genug, nein, noch nicht schnell genug.
    Männer weinten vor Ehrfurcht und Hass. Und der Einzige Gott schien sie zu

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