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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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kurz. Der berühmte Streitkolben des Grafen konnte sich mit der schnellen Klinge des Padirajah nicht messen. Hoga Gothyelk, der rotgesichtige Graf von Agansanor und Anführer der Männer aus Ce Tydonn, stürzte tödlich getroffen aus dem Sattel.
    Das magische Licht war so blass und steril, dass die Bildhauerarbeiten der Nichtmenschen und das Gesicht und die Glieder seines Vaters wie aus ein und demselben Material wirkten.
    »Sag mir, Vater… wer ist der Nicht-Gott?«
    Moënghus stand reglos vor ihm. »Die Prüfung hat dich um den Verstand gebracht.«
    Kellhus wusste, dass ihm kaum noch Zeit blieb. Er konnte sich die Ablenkungsmanöver seines Vaters nicht länger leisten. »Wenn er getötet wurde, wenn er nicht mehr existiert, wie hat er mir dann Träume schicken können?«
    »Du verwechselst den Wahn in dir mit dem Dunkel draußen – genau wie die gewöhnlichen Menschen.«
    »Die Hautkundschafter – was haben sie dir erzählt? Wer ist der Nicht-Gott?«
    So eingemauert seine starre Miene Moënghus auch wirken ließ, so genau schien er seinen Sohn doch zu taxieren. »Sie wissen es nicht. Aber in dieser Welt weiß schließlich niemand, wen er anbetet.«
    »Welche Möglichkeiten hast du in Betracht gezogen?«
    Doch sein Vater wollte nicht klein beigeben. »Die Dunkelheit ist vor dir da, Kellhus – sie besitzt dich. Du gehörst zu den Initiierten. Sicher hast du – « Er hielt abrupt inne und wandte das Gesicht in den Raum. »Du hast andere mitgebracht… Wen?«
    Nun hörte auch Kellhus, wie sie durchs Dunkel auf sie zukrochen. Sie waren zu dritt. Den Scylvendi erkannte er am Herzschlag… Aber wer begleitete ihn?
    »Ich bin erwählt worden, Vater. Ich bin der Vorbote.«
    Außer wechselnden Atemzügen und dem Knirschen von Sand unter den Sohlen war nichts zu hören.
    »Diese Stimmen«, fragte Moënghus bedächtig, »was sagen sie über mich?«
    Kellhus merkte, dass sein Vater endlich die Grundsätze ihrer Begegnung begriffen hatte. Moënghus hatte angenommen, sein Sohn sei es, der Unterweisung benötige. Er hatte es nicht für möglich, geschweige denn für unvermeidlich gehalten, dass der Tausendfältige Gedanke über die Seele dessen hinauswachsen würde, der ihn ausgebrütet hatte.
    »Sie warnen mich«, entgegnete Kellhus, »dass du noch immer ein Dûnyain bist.«
    Einer der gefangenen Hautkundschafter stemmte sich gegen seine Ketten. Speichelfäden liefen aus seinem Mund und fielen in den Schacht unter ihm.
    »Ich verstehe. Und darum soll ich sterben?«
    Kellhus musterte das auratische Leuchten um seine Hände. »Die Verbrechen, die du begangen hast, Vater… die Sünden… Wenn du von der Verdammnis erfährst, die auf dich wartet, und wenn du erst wirklich daran glaubst, dann wirst du nicht anders sein als die Inchoroi. Als Dûnyain wirst du gezwungen sein, die Folgen deiner Bösartigkeit zu meistern. Wie die Rathgeber wirst du das Heilige als Tyrannei auffassen… Und du wirst Krieg führen wie sie.«
    Kellhus zog sich in sich selbst zurück, konzentrierte sich auf die Einzelheiten der fast nackten Gestalt seines Vaters und taxierte die Kraft seiner Glieder, das Tempo seiner Reflexe.
    Ich muss schnell sein.
    »Um die Welt gegen das Jenseits abzuschütten«, sagten die bleichen Lippen. »Um sie mit dem Ausrotten der Menschheit zu versiegeln…«
    »Wie Ishuäl gegen die Wildnis abgeschüttet ist«, gab Kellhus zurück.
    Ein Grundsatz der Dûnyain lautete, Nachgiebiges von Widerspenstigem und Unnachgiebigem zu trennen. Beim Wandern im Labyrinth der Möglichkeiten, das der Tausendfältige Gedanke war, hatte Kellhus oft gesehen, dass der Kriegerprophet ermordet wurde und Anasûrimbor Moënghus an seine Stelle trat; dass sich apokalyptische Verschwörungen und ein vorgetäuschter Krieg gegen Golgotterath zutrugen; dass sich eine Fülle vorsätzlich herbeigeführter Katastrophen ereigneten, ganze Nationen der Völlerei der Sranc geopfert wurden und das Gebiet der Drei Meere ins Verderben stürzte.
    Dass die Götter wie Wölfe an einem stillen Tor heulten.
    Womöglich musste sein Vater das noch begreifen. Vielleicht konnte er nur bis zur Ankunft seines Sohns sehen. Womöglich aber waren der Vorwurf, er habe den Verstand verloren, und die Besorgnis über seine unerwartete Wandlung nur eine List. Doch all das war bedeutungslos.
    »Du bist noch immer ein Dunyain, Vater.«
    »Genau wie – «
    Das augenlose, zugleich unerbittliche und unergründliche Gesicht verzog sich unvermittelt zum Anflug einer Grimasse. Kellhus zog

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