Der tausendfältige Gedanke
Bronzerüstungen. Der Nicht-Gott wandelte, nahm gewaltige Dimensionen an, ließ sich schon nicht mehr auf einen Blick erfassen und stellte die Hierarchie des Beweglichen und Unbeweglichen auf den Kopf, so dass es schien, als stünde der Wirbelwind still, während die Schöpfung um ihn herumflog.
SAG ES MIR
»Sag es mir…«
»Bei allem, was heilig ist, Anaxophus – nehmt den Speer!«
Nein… das kann nicht sein…
Der Nicht-Gott rückte über die Ebenen von Mengedda vor und sog ganze Legionen von Sranc wie Puppen in seinen Wirbel. Und in seinem Zentrum sah Seswatha den glitzernden Panzer wie einen schwarzen Edelstein schweben… Er wandte sich wieder dem König von Kyraneas zu.
WAS BIN ICH?
»Was bin ich?«, fragte der König finster und stirnrunzelnd. Seine geölten Zöpfe wehten ihm wie Schlangen um die Schultern. Letztes Licht lag auf den Löwen, die in seine Bronzerüstung getrieben waren.
»Ihr seid die Welt, Anaxophus! Die Welt!«
Und es geschieht doch auch nicht so!
Der Wirbelsturm ragte wie ein riesiger Pfeiler aus Zorn vor ihnen auf, der so hoch war, dass man in die Knie gehen musste, um ihn ganz zu sehen. Kreiselnde Winde fegten über sie hinweg. Die Pferde wieherten und wollten ausbrechen. Der Streitwagen schwankte unter ihnen. Alles war ockerfarbener Dunst geworden. Weitere Böen jagten heran und warfen sie wie eine starke Strömung herum. Die anbrausenden Staubkörnchen schmirgelten ihm die Haut von Knöcheln und Wangen.
Der Nicht-Gott wandelte.
Es ist zu spät …
Seltsam, dass die Leidenschaft eher verlöscht als das Leben.
Pferde wieherten, und der Streitwagen kippte.
SAG ES MIR, ACHAMIAN –
Er schrak hoch und schrie auf.
Die Frau, die zufällig an der Tür stand, ließ ihre Schüssel fallen und rannte zu ihm. Instinktiv ergriff er ihre Arme. Als sie sich ihm entziehen wollte, packte er sie fester, um sich auf seine unsicheren Beine zu ziehen. Sie schrie, doch er ließ nicht los, obwohl er merkte, dass er sich so in ihren Armen verkrallt hatte, dass es sie schmerzen musste.
Die Tür flog auf, und ein Mann stürmte mit erhobenen Fäusten herein.
Achamian konnte sich an den Schlag später nicht erinnern. Er sah nur den Mann seine Frau wegziehen, während er sich mühsam aufrappelte. Seine Wange klopfte. Der Mann brüllte in einer Sprache, die Achamian nicht kannte, und gestikulierte wild, während die Frau ihn anzuflehen schien und immer wieder nach seinem Arm griff, obwohl er ihre Hände stets abschüttelte.
Achamian stand nackt da und merkte, dass etwas mit seinem rechten Bein nicht stimmte. Er nahm eine raue Decke von seinem Lager und wickelte sich darin ein. Dann drückte er sich verlegen an dem Paar vorbei, ging zur Tür, stolperte ins Sonnenlicht und spürte seine Fersen in heißen Sand treten. Er hob die Hand, um sich gegen das Gleißen der Sonne, des Strands und des heranrollenden Meers zu schützen, und entdeckte das sommersprossige Mädchen. Es duckte sich an der Rückwand des Hauses. Dann sah er Fischer weit weg – noch hinter der Stelle, an der die schwarzen Felsen den weißen Sand teilten – ihre Boote durch die diamantene Gischt ziehen.
Er wandte sich ab und floh eiligst den Strand entlang.
Bitte tötet mich nicht! wollte er rufen, obwohl er doch wusste, dass er sie alle verbrennen konnte.
Er ging ostwärts, gen Shimeh. Es schien die einzige Richtung zu sein, die er kannte.
Es war Morgen, und die Sonne schien die Gegend zu fliehen, die er zu erreichen suchte, als hätte sie Angst, er könnte sie fangen. Solange der Sand hart und flach war, folgte er der Küste und genoss das warme Rauschen des Meneanor-Meers um seine Knöchel. Rotkehlige Möwen schwebten reglos am blauen Himmel. Alles bewegte sich rascher und doch langsamer, wie es an der See stets der Fall ist. Die Dünung hob und senkte sich vor dem reglosen Horizont, und gleichzeitig funkelten Lichter über die trägen Wellen, und die ausgefransten Ränder der Dinge zitterten im Wind.
Viermal pausierte er – einmal, um sich einen Wanderstab aus angespültem Holz zu machen; ein weiteres Mal, um ein Stück verrottetes Tau um seine schwarze Decke zu binden, die er zu dem gefaltet hatte, was die Nansur Einsiedlergewand nennen; dann, um sein Bein zu untersuchen, das an Unterschenkel und Knöchel tiefe Wunden aufwies. Er erinnerte sich nicht an diese Verletzungen, wusste aber, dass er einen Hautzauber – einen allerletzten Schutz gegen jede Art von Bedrohung – hervorgekeucht hatte, als der Dämon seine
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