Der tausendfältige Gedanke
hatte, oder in der Angst, die in ihrem Blick aufgeflackert war.
Er hatte das gewusst, aber nie etwas gesagt, sondern die Mühe des Begreifens gescheut und auf das Unerklärliche vertraut. Nun aber merkte er: Ich habe sie im Stich gelassen.
Kein Wunder, dass auch sie ihn im Stich gelassen hatte. Kein Wunder, dass sie Kellhus… erlegen war.
Kellhus… Das waren die selbstsüchtigsten und darum auch qualvollsten Gedanken.
Esmenet hatte immer wieder gestaunt, welches Theater Männer um ihr Glied machten, wie sie es verfluchten, beglückwünschten, anflehten, ihm gut zuredeten, ihm Befehle erteilten, es sogar bedrohten. Einmal hatte sie Achamian von einem verwirrten Priester erzählt, der ein Messer an sein Glied gehalten und gezischt hatte: »Du musst zuhören!« Da habe sie verstanden, dass Männer sich selbst fremd waren – viel mehr als Frauen. Er hatte sie nach den Tempelhuren Gierras gefragt, die – obwohl Hunderte von Männern sich ihrer bedienten – mit nur einem Einzigen zu schlafen glaubten, mit Hotos nämlich, dem Gott der Fruchtbarkeit. Sie hatte lachend gesagt: »Keine Gottheit könnte vielgestaltiger sein.«
Achamian war entsetzt gewesen.
Frauen waren Fenster, durch die Männer in andere Männer schauen konnten – sie waren das unbewachte Tor zu deren tieferer, weniger geschützten Seite. Und es hatte Zeiten gegeben, da Achamian, wie er sich nun eingestand, den rauen Männerhaufen gefürchtet hatte, der ihn durch ihre fast arglosen Augen musterte. Getröstet hatte ihn allein der Gedanke, dass er der Letzte war und immer sein würde, der mit ihr schlief.
Und nun war sie mit Kellhus zusammen.
Warum war dieser Gedanke so unerträglich? Warum krampfte sich ihm dabei das Herz zusammen?
Es gab Nächte, in denen er wach lag und sich immer wieder ins Gedächtnis rief, wen Esmenet erwählt hatte. Kellhus war der Kriegerprophet. Bald würde er von allen Opfer verlangen. Er würde Leben fordern, nicht bloß Liebhaberinnen. Doch wenn er nahm, dann gab er auch! Achamian hatte Esmenet verloren, aber seine Seele gewonnen. Oder nicht?
Oder etwa nicht?
In anderen Nächten wälzte Achamian sich herum und wimmerte leise vor Eifersucht, weil er wusste, dass sie nun mit Kellhus schlief und er Dinge mit ihr tat, zu denen Achamian nie in der Lage gewesen wäre, die Esmenet aber stärker erregten und befriedigten. Und hinterher würde sie Witze über Hexenmeister und ihre kleinen dicken Willis reißen. Was mochte sie gedacht haben, als sie mit Drusas Achamian, diesem fetten alten Narren, zusammen gewesen war?
Meist aber lag er nur still im Dunkeln, atmete den Geruch gelöschter Kerzen und Rauchgefäße ein und sehnte sich nach ihr, wie er sich noch nie nach jemandem oder etwas gesehnt hatte. Wenn ich sie doch nur in den Armen hielte, sagte er sich immer wieder und vergegenwärtigte sich die Momente, in denen er sie in der letzten Zeit kurz zu Gesicht bekommen hatte, wie Habgierige ihre Münzen zählen. Wenn ich sie nur noch ein letztes Mal in den Armen halten könnte, müssten ihr doch die Augen aufgehen! Es kann doch nicht anders sein!
Bitte, Esmi…
Als Achamian nach dem ersten Tagesmarsch des Heiligen Kriegs durch die Ebene von Xerash erschöpft in seinem Zelt lag, packte ihn der Gedanke an ihr ungeborenes Kind mit betäubender Wucht. Er hielt den Atem an, als er begriff, dass dieses Kind mehr als alles andere den Unterschied zwischen ihrer Liebe ihm gegenüber und der zu Kellhus versinnbildlichte. Für Achamian hatte sie ihre Hurenmuschel nicht aufgegeben und nie auch nur die Möglichkeit eines Kindes erwähnt.
Er freilich auch nicht, wie er unter Tränen lächelnd begriff.
Mit dieser Erkenntnis brach oder heilte etwas in ihm. Am Morgen darauf saß er an einem der Sklavenfeuer und beobachtete, wie zwei namenlose Mädchen Minze zum Teekochen aus dem Boden rissen. Eine Zeitlang sah er ihnen in seiner Verschlafenheit blinzelnd zu. Dann blickte er an ihnen vorbei und sah Esmenet nicht weit entfernt mit zwei Nascenti im Schatten dunkler Pferde stehen. Sie fing seinen Blick auf, und nachdem sie sonst stets ausdruckslos genickt oder einfach weggeschaut hatte, trat diesmal ein scheues, aber blendendes Lächeln auf ihre Lippen. Irgendwie wusste er es da einfach…
Ihre Tore waren verschlossen. Sein Herz konnte nicht länger in ihre Richtung gehen.
Erinnerungen an jenes andere Feuer waren für Achamian nun wie eine Heimsuchung.
Die Erinnerung daran, wie Esmenet sich lachend an ihn gelehnt und Serwë
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