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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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freudig und mit einer Miene, die die Unschuld selbst war, in die Hände geklatscht hatte; damals besaß Xinemus seine Augen noch, und Kellhus sagte: »Ich hatte Angst!«
    »Du hattest Angst? Vor einem Pferd?«
    »Es war von Sinnen. Wie es mich angesehen hat! So wie… Xin sein Pferd anschaut.«
    »Hä?«
    »Wie etwas, das geritten werden will…«
    Wie gern hatten sie Kellhus aufgezogen! Welches Vergnügen hatten seine vorgeblichen Schwächen ihnen bereitet! Und das war das wenigste, was sie verloren hatten.
    Jenes Feuer war ganz anders gewesen als dieses hier, an dem man zwar in Seidengewändern saß, wo aber eine elende Verlegenheit herrschte. Achamian hatte den Eindruck, nicht zwischen Menschen, sondern zwischen Gespenstern zu sitzen.
    Vor allem aus Langeweile hatte er Proyas’ Pavillon aufgesucht und der Reaktion seines Leibsklaven entnehmen können, dass seine Anwesenheit unerwünscht war. Doch er hatte getrunken und war streitlustig. Andere zu stören, erschien ihm nur gerecht.
    Die goldbestickten Vorhänge wurden zur Seite gezogen. Achamian sah Proyas an einer kleinen Feuerstelle vor einem Grillrost sitzen. Sein Gewand schien eher dafür geeignet, sich von einer Krankheit zu erholen, als Gäste zu bewirten. Xinemus saß zu seiner Linken, und ihm gegenüber saß eine Frau.
    Esmenet.
    »Akka«, rief Proyas mit einem so nervösen wie verräterischen Blick auf die Prophetengemahlin. Er wirkte angespannt. Nach kurzem Zögern sagte er: »Komm rein. Setz dich bitte zu uns.«
    »Verzeihung. Ich hatte gehofft, Euch allein – «
    »Er hat ›Komm rein‹ gesagt! «, rief Xinemus mit der feindseligen Gutmütigkeit, die nur Betrunkene aufbringen konnten. Dabei blickte er ins Leere, als habe er Achamian das linke Ohr zugewandt.
    »Ja«, sagte Esmenet.
    Das klang gezwungen, doch ihre Augen wirkten aufrichtig. Erst als Achamian ein widerspenstiges Kissen zurechtrückte, begriff er, dass ihr an seiner Gesellschaft ganz und gar nicht lag und ihre Zustimmung allein ihrem Mitleid mit Xinemus zu verdanken war. Was war er bloß für ein Narr.
    Sie sah atemberaubend schön aus. Es quälte ihn fast, sie anzuschauen, und zwar nicht nur, weil Männer die Schönheit ihrer Verflossenen insgeheim in Listen zu erfassen pflegen, sondern weil Esmenet als seine Geliebte nur ein hübsches Kraut gewesen, nun aber eine erstaunliche Blume geworden war. Sie trug Perlen an silbernen Schnüren, und ihr mit zwei Silberspangen hochgestecktes Haar glänzte pechschwarz. Ihr Gewand hatte schimmernde Applikationen, und ihre Augen waren dunkel und blickten besorgt.
    Der Leibsklave sammelte emsig leere Schalen und Teller ein. Proyas und Esmenet schenkten ihm übertriebene Aufmerksamkeit. Alle wirkten niedergeschlagen; nur Xinemus nagte munter an einem abgesäbelten Rippchen – das in süßer Bohnensauce geschmorte Schweinefleisch roch köstlich.
    »Was macht der Unterricht?«, fragte Proyas, als erinnerte er sich jetzt erst seiner Manieren.
    »Der Unterricht?«, wiederholte Achamian.
    »Ja, mit…« – er zuckte die Achseln und schien nicht recht zu wissen, ob es sich schickte, den Kriegerpropheten zu nennen, wie es früher zwischen ihnen üblich gewesen war – »… mit Kellhus.«
    Diesen Namen bloß auszusprechen wirkte, als legte man sich eine Aderpresse an.
    Achamian wischte sich über die Knie, obwohl er nichts entdeckte, was sie beschmutzt haben könnte. »Der Unterricht läuft gut.« Er versuchte, möglichst unbeschwert zu klingen. »Sollte ich überleben und einmal ein Buch über diese Zeit schreiben, werde ich es Über die verschiedenen Arten der Ehrfurcht nennen.«
    »Den Titel hast du mir gestohlen!«, rief Xinemus und tastete nach dem Wein. Proyas reagierte rasch, goss ihm eine Schale ein und lächelte, obwohl ihm gereizte Verzweiflung in den Augen stand.
    »Warum?«, fragte Esmenet mit so scharfer Stimme, dass Achamian zusammenzuckte. Seit er blind war, fühlte Xinemus sich ständig geringschätzig behandelt. Er war schlimmer geworden als der Scylvendi. »Wie lautet dein Titel, Xin?«
    Xinemus schlürfte ein wenig Wein und murmelte dann in der für ihn so typischen trockenen Art: »Über die verschiedenen Arten von Eseln.«
    Sie brüllten vor Lachen.
    Achamian sah von einem strahlenden Gesicht zum anderen und strich sich mit dem Daumen Tränen aus den Augen. Erinnerungen übermannten ihn. Einen Moment lang schien es, als bräuchte Esmenet nur seine Hand zu nehmen und ihren Daumenballen an seinen Daumennagel zu drücken, um alles

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