Der tausendfältige Gedanke
draußen werde frei von den eingepferchten Gerüchen und dem Irrsinn sein, mit denen Proyas’ Pavillon verseucht gewesen war, doch dem war nicht so. Der Himmel war wolkenlos, aber nicht so klar wie die trockenen Nächte von Shigek. Ein Rauchschleier mit dem bitteren Geruch nassen Holzes und ein Chor naher, aber verstreuter Stimmen (die zu Leuten aus Conriya gehörten, die an ihren Feuern saßen und tranken) trieben über die verlassene Lichtung. Er sah Esmenet an und lächelte, als wäre er erleichtert, doch sie starrte ins Dunkel. In einem nahe gelegenen Zelt murmelte jemand mit der geballten Wut eines Betrunkenen.
Er kann nicht heilen, Akka.
Schweigend gingen sie nebeneinander durch die dunklen Gassen. Zelte und Pavillons ragten aus der Finsternis. Feuer loderten. Seine linke Hand prickelte bei der Erinnerung daran, wie es war, ihre Rechte zu halten. Er verübelte sich die Sehnsucht, die ihn erfüllte. Wie konnte er inmitten so vieler beängstigend faszinierender Ereignisse sein und doch nur Esmenets Sogkraft verspüren? Die Welt lärmte und umzingelte ihn mit tausend furchtbaren Ansprüchen, aber er konnte nur Esmenets Schweigen hören. Ich bewege mich im Schatten der Apokalypse, rief er sich in Erinnerung.
»Xin«, sagte Esmenet unvermittelt. Sie sprach zögernd, als wäre sie gerade aus einem langen, ziellosen Tagtraum erwacht. »Was ist mit ihm geschehen?«
Achamians Herz tat einen solchen Sprung, dass er sprachlos war. Er hatte sich entschlossen zu schweigen. Allein mit ihr durchs Dunkel zu gehen, war qualvoll genug – aber zu sprechen?
Er sah auf seine Sandalen.
»Hältst du meine Frage für dumm?«, stieß Esmenet hervor. »Findest du – «
»Nein, Esmi.«
Er hatte ihren Namen zu ehrlich ausgesprochen, zu leidend.
»Du… du hast keine Ahnung, was Kellhus mir gezeigt hat«, sagte sie. »Auch ich war Horomon, und jetzt – die Welt, die ich sehe, Akka! Die Welt, die ich sehe! Die Frau, die du gekannt und geliebt hast… du musst wissen, dass sie – «
Da er diese Worte nicht ertragen konnte, unterbrach er sie. »Xin hat in Iothiah mehr als nur seine Augen verloren.«
Sie gingen vier Schritte schweigend durch die Dunkelheit.
»Wie meinst du das?«
»Die Erzwingungsformeln – sie… sie…« Er verstummte.
»Wenn ich Geheimdienstchefin sein soll, muss ich diese Dinge wissen, Akka.«
Esmenet hatte recht: Sie musste es erfahren. Doch Achamian wusste, dass sie aus ganz anderen Gründen darauf drängte. Menschen, die einander entfremdet waren, suchten ihre Zuflucht stets in Gesprächen über Dritte. Es war der bequemste Weg, um unaufrichtige Nettigkeiten und gefährliche Wahrheiten zu vermeiden.
»Die Erzwingungsformeln«, fuhr Achamian fort, »sind falsch benannt. Sie sind nicht ›Qualen der Seele‹, wie viele denken, als wäre unsere Seele eine Art Miniatur, die den Einwirkungen der Hexenmeister gegenüber so verwundbar ist wie der Körper gegen physische Einwirkungen. Diese Formeln wirken anders. Unsere Seele ist anders…«
Sie betrachtete sein Profil, sah aber weg, als er sie anzublicken wagte.
»Gezwungene Seelen«, fuhr er fort, »sind besessene Seelen.«
»Was soll das heißen?«
Achamian räusperte sich. Sie hatte wie jemand gesprochen, der einem Unsinn redenden Untergebenen das Wort abschnitt. »Sie haben ihn gegen mich eingesetzt, Esmi. Die Scharlachspitzen…« Er blinzelte und sah, wie der Gardist der Hundert Säulen Iyokus die Augen herausschnitt. »Sie haben ihn gegen mich eingesetzt.«
Sie passierten ein dicht umlagertes Feuer, und er sah ihr Gesicht im sporadisch auftauchenden Schein der Flammen. Sie kniff die Augen zusammen, tat dies aber in der vorsichtigen Weise eines Menschen, der jemandem, den er bedauert, skeptisch gegenübersteht.
Sie hält mich für schwach.
Er blieb stehen und funkelte ihre anmutige Erscheinung zornig an. »Du denkst, ich will dein Mitgefühl erregen.«
»Worauf sonst willst du also hinaus?«
Er unterdrückte seine aufsteigende Wut. »Das große Paradox der Erzwingungsformeln besteht darin, dass ihre Opfer sich ganz und gar nicht gezwungen fühlen. Xin hat alles, was er mir gesagt hat, genau so gemeint. Er hat die Worte selbst gewählt, obwohl andere sie ihm eingegeben haben.«
Wann immer Achamian dies bisher erläutert hatte, waren prompt Fragen und Einwände auf ihn eingestürmt. Wie sollte das möglich sein? Wie konnte man Zwang mit freiem Willen verwechseln?
»Was hat er denn gesagt?«, fragte Esmenet nur.
Achamian schüttelte den
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