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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Kopf und schenkte ihr ein falsches Lächeln. »Die Scharlachspitzen… Glaub mir, sie wissen, welche Worte am schärfsten schneiden.«
    Wie Kellhus.
    Nun stand Mitgefühl in ihren Augen… Er sah weg.
    »Akka… was hat er gesagt?«
    Gestalten gingen vor dem Feuer auf und ab, und Schatten strichen über den Boden, der zwischen ihnen lag. Als er ihren Blick erwiderte, war es, als würde er fallen. »Er hat gesagt…« Er stockte und räusperte sich. »Er hat gesagt, Mitleid sei die einzige Zuneigung, auf die ich hoffen könne.«
    Er sah sie schlucken und blinzeln. »Oh, Akka…«
    Sie war die Einzige auf Erden, die wirklich verstand. Die Einzige.
    Sehnsucht schlug über den Säulen seiner Entschlossenheit zusammen – der Wunsch, sie zu umarmen, sie zärtlich an sich zu drücken und die Sommersprossen auf ihrer Nasenwurzel zu küssen.
    Stattdessen ging er weiter und war auf gereizte Weise erleichtert, als sie ihm gehorsam folgte.
    »Er hat Dinge gesagt«, fuhr Achamian fort und hustete gegen einen Schmerz an, der seine Stimme beinahe versagen ließ. »Er hat Dinge gesagt, ohne Hoffnung auf Vergebung zu haben. Jetzt kann er nicht mehr damit aufhören.«
    Esmenet wirkte verblüfft. »Aber das ist Monate her.«
    Achamian schaute blinzelnd zum Himmel und sah das Rund der Hörner über den Hügeln im Norden glitzern. Es war ein altes kûniürisches Sternbild, das den Astrologen des Gebiets der Drei Meere unbekannt war. »Stell dir die Seele wie ein Netz unzähliger Flüsse vor. Mit den Erzwingungsformeln werden alte Ufer überschwemmt, Deiche fortgespült, neue Flussbetten geschaffen… Manchmal nehmen die Dinge danach den alten Lauf, manchmal nicht.«
    Wieder gingen sie schweigend einige Schritte im Dunkeln. Als sie antwortete, klang ihre Stimme ehrlich entsetzt. »Willst du damit sagen…« Sie sah ihn ungläubig an. »Soll das heißen, der Xin, den wir gekannt haben, ist tot?«
    Dieser Gedanke war Achamian – so naheliegend er war – nie gekommen. »Ich weiß es nicht.«
    Er drehte sich zu ihr und griff – so verboten es war – nach ihrer Hand. Sie widersetzte sich nicht. Er wollte etwas sagen, brachte aber nichts heraus. Stattdessen zog er sie an sich und war verblüfft, wie unbefangen sie blieb.
    Dann ergriffen die alten Gewohnheiten von ihnen Besitz und schlossen sie wie Hände zusammen. Sie neigte sich ihm entgegen, wie sie es tausendmal getan hatte. Er schloss ihre zitternde Gestalt in die Arme und versank in ihren Lippen, ihrem Geruch.
    Sie küssten sich.
    Dann schlug sie nach seinem Gesicht und seinen Schultern. Von Wut, Leidenschaft und Erschrecken überwältigt, ließ er sie los. »Nein!«, rief sie und hieb in die Luft, als wollte sie sogar die bloße Vorstellung von ihm vertreiben.
    »Ich träume davon, ihn zu ermorden!«, rief Achamian. »Davon, Kellhus zu ermorden! Davon, dass die Welt in Flammen steht und ich jubiliere, Esmi – dass die Welt in Flammen steht und ich frohlocke vor Liebe zu dir!«
    Sie sah ihn mit großen Augen an, ohne ihn zu verstehen.
    Alles an ihm flehte sie an. »Liebst du mich, Esmi? Ich muss das wissen!«
    »Akka…«
    »Liebst du mich?«
    »Er kennt mich! Er kennt mich wie kein anderer!«
    Und plötzlich verstand er. Es schien so klar zu sein! Die ganze Zeit hatte er getrauert und gedacht, er habe ihr nichts zu bieten, könne nichts an den Fuß ihres Altars legen. »Das ist es! Verstehst du nicht? Das ist der Unterschied!«
    »Das ist Wahnsinn!«, rief sie. »Schluss, Akka, es reicht! Das darf nicht sein.«
    »Hör mir bitte, bitte zu! Er kennt jeden, Esmi! Jeden!«
    Sie war die Einzige. Warum begriff sie das nicht? Plötzlich wurde ihm klar, dass Liebe der Unwissenheit bedurfte. Wie eine Kerze benötigte sie Dunkelheit, um hell zu strahlen und die Umgebung zu erleuchten. »Er kennt jeden!« Er hatte ihren Geschmack noch auf den Lippen.
    Einen bitteren Geschmack, der dem von Tränen ähnelte, die über ein geschminktes Gesicht gelaufen waren.
    »Ja«, sagte Esmenet und trat Schritt um Schritt zurück. »Und er liebt mich!«
    Achamian sah zu Boden, um einen klaren Kopf zu bekommen und Atem zu schöpfen. Er wusste, dass sie verschwunden sein würde, wenn er wieder aufschaute, aber irgendwie hatte er die anderen – die Inrithi – vergessen. Über ein Dutzend von ihnen standen wie Wächter im Feuerschein und starrten ihn ausdruckslos an. Achamian dachte daran, wie leicht er sie zerstören und das Fleisch von ihren Knochen sprengen konnte, und erwiderte ihre erstaunten, prüfenden

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