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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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sich direkt über der Oberfläche – es sah aus wie von Gischt umschlossene Finger.
    Die Bootsleute riefen übers Wasser. Die Frachtschiffe waren leer.
     
     
    Bis zum Nachmittag waren alle Karacken und die begleitenden Kriegsgaleeren in den Hafen gelotst. Cnaiür hielt die Tore geschlossen, um kein Risiko einzugehen, ehe er Conphas nicht in den Fängen hatte. Tirnemus und seinen Leuten hatte er befohlen, Troyatti beim Durchkämmen der Stadt zu helfen.
    Der Admiral der kaiserlichen Flotte – ein Mann namens Tarempas – erklärte, der Wind sei ihnen unerwartet günstig gewesen, und behauptete, hinsichtlich der Rückreise sei er weit beunruhigter. Er gehörte zu den rastlosen Männern von kleiner Statur, die – ihren wild schießenden Blicken nach zu urteilen – mehr an ihrer Umgebung als an ihren Gesprächspartnern interessiert waren. Er schien dauernd alles zu taxieren.
    Bald darauf begannen die Nansur im Hauptlager zu rebellieren. Sie hatten Wind von der frühen Ankunft der Flotte bekommen. Als diese Nachricht bis zum Mittag nicht offiziell bestätigt worden war, organisierten sie einen Protest. Auf seinen Wegen durch die Stadt hatte Cnaiür mehrmals ihren Aufruhr gehört: heisere Rufe, denen donnernder Jubel folgte. Was ließ sich von heimwehkranken Männern schon anderes erwarten, zumal nach fast dreiwöchiger Internierung?
    Dann sickerte die Nachricht vom Verschwinden ihres Oberbefehlshabers durch.
    Mit Sanumnis und Skaiwarra im Schlepptau kletterte Cnaiür auf die Stadtmauer oberhalb des Lagers. Dort oben tönte das Geschrei so laut, als träte man aus einer stillen Höhle ins dickste Kampfgetümmel.
    Vor der Mauer befand sich ein Elendsquartier aus armseligen Hütten und Zelten. Die vielen Internierten hatten dort alle Vegetation zertrampelt. Die nackte Erde erstreckte sich trichterförmig nach Süden, wo sie sich zu einem Weg verengte und über unbestellte Äcker zum Oras führte, der sich hinter dunstigen Baumschleiern blau und schwarz dahinschlängelte. Eine gewaltige Menge hatte sich auf der Westseite des Lagers gesammelt: Tausende von Männern in schmutzigen roten Uniformröcken reckten die Fäuste einer dünnen Linie von Rittern aus Conriya entgegen, die ein paar hundert Schritte entfernt auf der anderen Seite eines zerstörten Obstgartens in Stellung gegangen waren. Von Helmen und Masken abgesehen, sahen sie wie Reiter der Kianene aus.
    Sanumnis stieß bei ihrem Anblick einen Pfiff aus. »Sollen wir sie niedermetzeln?«, fragte er vorsichtig.
    »Wenn du das versuchst, verlierst du alle Männer und versorgst die Nansur mit Waffen.«
    »Also lassen wir sie gewähren?«
    Cnaiür zuckte die Achseln. »Ich sehe keine Belagerungstürme… Sorg dafür, dass sie eingeschlossen und von den Offizieren getrennt bleiben. Gibt man dem Mob einen Anführer, wird er zur Armee. Wenn sie anfangen, Formationen zu bilden und sich ihrer Disziplin zu erinnern, gib mir sofort Bescheid.«
    Der Baron nickte in widerwilliger Bewunderung.
    Kurz darauf traf Nachricht von Troyatti ein. Der Hauptmann hielt sich in der labyrinthischen Totenstadt von Joktha auf, die sich im weitgehend verlassenen Viertel der Kianene befand. Dort hatten seine Männer anscheinend eine Art Tunnel entdeckt. Noch bevor Cnaiür Troyatti mit nacktem Oberkörper und in die Hüften gestemmten Händen am Eingang einer halb verfallenen Grabstätte stehen sah, war ihm klar, dass Conphas verschwunden war.
    »Der Tunnel führt mehrere hundert Meter jenseits der Stadtmauer ins Freie«, erklärte der Mann aus Conriya grimmig. »Sie mussten einiges an Erde ausschachten, um an die Oberfläche zu kommen… einiges.« Er schnitt eine Grimasse, als wollte er sagen: Wenigstens hat er sich die Hände schmutzig gemacht.
    Cnaiür musterte ihn kurz und überlegte, wie unsinnig es war, dass Inrithi sich nach Art der Scylvendi Narben beibrachten. Dann ließ er den Blick über die Totenstadt mit ihren schiefen Obelisken, verfallenen Urnengräbern und scheel blickenden Statuen schweifen, die alle aus der Zeit stammten, als Joktha zum Kaiserreich Nansur oder zum Ceneischen Reich gehört hatte. Er spürte nichts von dem Grauen, das die Fanim davon abgehalten hatte, dieses Gelände zu bebauen. Von den Straßen in der Nähe drangen Stimmen herüber: Die Hemscilvara riefen sich etwas zu.
    »Brecht die Suche ab«, sagte Cnaiür und wies mit dem Kopf zum Eingang der Grabstätte. »Lasst ihn einstürzen. Schließt den Tunnel.«
    Die Sicht zum Hafen war durch die Ziegelfassade eines

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