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Der tausendfältige Gedanke

Der tausendfältige Gedanke

Titel: Der tausendfältige Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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du alles zum zweiten Mal erleben!« Cnaiür hockte sich auf den Tisch, was Teller und Schalen kreiseln ließ. Mit Augen, die groß wie Silbertalente waren, kroch Conphas rückwärts durch die Kissen. »Als wärst du des Ausgangs völlig sicher!«
    Inzwischen hatte Conphas sich umgedreht und kämpfte sich aus der Mulde. »Sompas! Somp!« Cnaiür sprang ans andere Ende des Tischs und schlug ihm gegen den Hinterkopf. Conphas ging zu Boden. Cnaiür löste seinen Gürtel, legte ihn um den Hals des Schluchzenden und zog ihn auf die Knie. Er zerrte ihn zum Tisch zurück, warf ihn bäuchlings auf die Tischplatte und schmetterte ihm das Gesicht gegen sein Spiegelbild – einmal, zweimal…
    Er blickte auf und sah die Sklaven mit erhobenen Armen ins Dunkel zurückweichen. Einer von ihnen weinte.
    »Ich bin ein Dämon!«, rief Cnaiür. »Ein Dämon!«
    Dann wandte er sich wieder Conphas zu, der auf dem Tisch unter ihm schlotterte.
    Manche Dinge bedurften eingehender Erklärung.
    Sonnenaufgang. Licht fiel zwischen den östlichen Säulen hindurch und ließ sie orange- und rosafarben glasiert erscheinen. Ein schwacher Wind wehte den Duft von Zedern heran. Er glaubte, ganz Joktha unter der Berührung des jungen Morgens erwachen zu hören.
    Cnaiür fegte eine Weinschale von seinen Laken. Sie schlitterte klirrend über die Kacheln, ehe die Teppiche sie zum Schweigen brachten. Er setzte sich auf die Bettkante, zwickte seinen Nasenrücken und ging zum bronzenen Waschbecken, das in die Westwand eingelassen war. Er stierte auf das geometrische Fresko – ineinandergreifende Ovale –, während er sich das Blut von den Schenkeln spülte. Dann ging er nackt auf die im Sonnenlicht liegende Terrasse. Wie ein ins Wasser gefallener Öltropfen dehnte Joktha sich aus, als er an die Balustrade trat. Sandtauben zankten auf den Dachvorsprüngen. Vor der Hafeneinfahrt im Osten ankerte eine Flotte, deren Umrisse sich schwarz vom silbergoldenen Meer abhoben. Es waren Schiffe der Nansur.
    Der Tag war also gekommen.
    Er kleidete sich ohne seine Leibsklaven an, ließ aber einen von ihnen Troyatti holen. Der Hauptmann fing ihn auf dem Weg zur Kantine des Mannschaftsgebäudes ab.
    »Schick Männer zu dieser Flotte hinaus«, sagte Cnaiür. »Wir senken die Hafenkette erst, wenn alle Schiffe durchsucht sind. Dann versammelst du persönlich Conphas und seine Generäle und geleitest sie zum Hafen, zum Großen Kai. Nimm so viele Männer mit, wie entbehrlich sind.«
    Der schweigsame Mann aus Conriya hatte pflichtbewusst zugehört und dabei das Swazond auf seinem rechten Unterarm gekratzt. Nun drückte er mit einem Nicken den Bart an die Brust.
    »Und Troyatti – was auch passiert: Behalte den Ikurei unter Kontrolle!«
    »Etwas beunruhigt Euch«, sagte der Hauptmann.
    Einen Moment lang fragte Cnaiür sich unwillkürlich, ob Troyatti und er Freunde waren. Seit er mit ihm durch Shigek geritten war, hatten Troyatti und die anderen begonnen, sich Hemscilvara zu nennen: die Männer des Scylvendi. Er hatte sie die Bräuche der Steppenbewohner gelehrt, die ihm damals noch wichtig erschienen waren, und mit der seltsamen Fähigkeit der Jugend, dies oder jenes zu verehren, waren sie ihm gefolgt und folgten ihm noch jetzt, obwohl Proyas sie längst anderweitig eingeteilt hatte.
    »Diese Flotte… sie ist zu früh eingetroffen. Gut möglich, dass sie schon entsandt wurde, bevor der Dunyain Conphas vom Heiligen Krieg ausgeschlossen hat.«
    Troyatti runzelte die Stirn. »Ihr denkt also, dass sie Conphas nicht zurückholt, sondern ihm Verstärkung bringt?«
    »Denk an die Schlacht am Kiyuth… Der Kaiser hat nur einen Bruchteil seiner Armee unter der Führung von Conphas in die Steppe ziehen lassen. Warum? Um sich vor meinen Landsleuten zu schützen, falls sie geschlagen worden wäre? Nein. Er hat seine Kräfte aus einem bestimmten Grund geschont.«
    Der Hauptmann nickte, und seine Augen strahlten in plötzlichem Verstehen.
    »Behalte Conphas unter Kontrolle, Troyatti. Vergieß so viel Blut wie nötig.«
    Nachdem er Sanumnis und Tirnemus eine Nachricht hatte zukommen lassen, ritt Cnaiür mit einigen Hemscilvara zum sogenannten Großen Kai, der eigentlich nur ein bis ans Meer vorgebauter Dammabsatz aus Stein und Kies war, von dem Holzanleger ins Wasser führten, die an von Bretterzäunen begrenzte Grundstücke denken ließen, wie es sie im Schatten von Stadtmauern gab. Weggeworfene Austernschalen knackten unter seinen Sandalen, als er ans Ende des Kais schritt. Seine Männer

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