Der Tee der drei alten Damen
ihn zum Aufschauen brachte. Dann lachte er, ein unangenehmes, heiseres Lachen.
»Hören Sie das Mädchen, O'Key. Ist das nicht zum Aus-der-Haut-fahren? Will einem alten Parteifunktionär die Leviten lesen, und dabei hat dieser besagte Parteifunktionär die ganze Geschichte erst auf die Beine gestellt. Es ist noch idealistisch gesinnt, das kleine Mädchen. Mein liebes Kind«, dies zu Natascha, »wir machen hier in Tatsachen und nicht in Parteipropaganda. Es wird dir auch gar nichts nützen, nach Moskau zu berichten, daß ich mit O'Key hier verhandelt habe. Ich habe Vollmacht, verstehst du, und du bist meine Untergebene. Überhaupt, die Sache ist so gut wie perfekt, und wenn ihr uns doch zuvorkommt, so hat das nichts zu sagen. Mit euch läßt sich immer verhandeln, ihr braucht uns, wir brauchen euch. Nur mit den Amerikanern wollen wir nichts zu tun haben. Verstanden? Also, hören Sie, O'Key. Die Lage der Felder ist günstig. Drei Kilometer von einem Fluß, der auch für große Tankschiffe genügend Tiefgang hat. Euer Bose, ja, Sir Avindranath Eric Bose, mit dem horngefaßten Monokel, hat euch verraten und jetzt«, Baranoff klopfte mit seinen kurzen Fingern auf den Chiffre-Brief, »jetzt macht sich ein amerikanischer Missionar unten bemerkbar. Stöbern Sie den vertriebenen Fürsten auf, O'Key, dann ist alles in Ordnung, wir einigen uns schon. Aber die Amerikaner müssen raus. Wissen Sie, daß die Leute schon Bohrmeister geschickt haben? Der junge Fürst ist loyal, er hat die englischen Interessen schützen wollen und hat dem Bose vertraut. Passen Sie auf den Bose auf, O'Key, der Kerl ist raffiniert. Aber vielleicht – nun, das ist Ihre Sache.«
»Zweiundsiebzig«, sagte O'Key nach einer Pause, in der er abwechselnd seine Stiefelspitzen, Natascha und Baranoffs Hände betrachtet hatte. »Zweiundsiebzig, Sie haben schon einmal versucht, mich anzuschmieren, damals in Paris, wissen Sie? Es soll Ihnen vergeben und vergessen werden, wenn Sie mich jetzt nicht anschwindeln. Aber ich trau Ihnen nicht. Sie sind zu treuherzig. Irgendetwas steckt dahinter. Wir werden sehen. Und Sie werden sich wohl die Finger verbrennen.«
O'Key sammelte nun endgültig seine verstreuten Glieder ein, stand auf. Dann trat er zum Tisch, lehnte den rechten Schenkel an die Tischkante und sprach gegen das offene Fenster hin: »Was ist das übrigens für ein Vertrag, der Crawley gestohlen worden ist? Darum ist er doch ermordet worden? Oder? Hat der alte Bose mit euch paktieren wollen, doppeltes Spiel treiben? Antworten Sie nur ungescheut, Zweiundsiebzig, wir sind auch nicht ganz dumm.«
Baranoffs großporige Gesichtshaut wurde fleckig, grau und weiß, er zündete umständlich eine Zigarette an, und es muß festgestellt werden, daß seine Hände nicht zitterten. Er war eben, wie er sich selber gerne nannte, ein altes Zirkuspferd, und bekanntlich ticken diese Tiere nur selten.
»Sie glauben gar viel zu wissen, O'Key«, sagte er ruhig. »Aber Sie wissen eben doch nichts, sonst, wenn Sie nämlich alles wüßten, würden Sie vielleicht doch Angst bekommen.«
»Wegen des Fliegengottes? Machen Sie sich nicht lächerlich. Man hat doch schon allerlei erlebt und die Furcht ist auch ein Aberglaube. Und wenn noch jemand sterben soll, so werde ich es nicht sein, glauben Sie mir.«
»Sie sind sehr sicher, O'Key, desto besser, aber ich habe zu tun, auf Wiedersehen.«
Baranoff stand auf, öffnete die Tür, O'Key verbeugte sich vor Natascha, dann verschwand er lächelnd.
Aber kaum hatte sich die Türe hinter ihm geschlossen, als Baranoffs Gesicht sich veränderte; plötzlich war es eine Maske, eine jener Masken, die Neger tragen, wenn sie kultische Tänze aufführen.
Er hob den Hörer ab, nannte eine Nummer.
»Benachrichtigen Sie den Meister, daß eine Untersuchung in Bel-Air stattfinden wird. Gegen den Professor ist vorzugehen, schicken Sie die Dokumente an den Staatsanwalt. Ich gebe den Rat, den Patienten stumm zu machen. Was, Sie können nicht vor morgen? Warum? So, weil Sie nicht Dienst haben? Nun, es wird nicht so eilen… gut.«
In der Mittagsstunde, bei Fräulein Sorel, der Dichterin, gelang es Natascha, ihrem jungen Freunde Jakob zuzuflüstern:
»In einer halben Stunde am Cours de Rive.« Jakob nickte und freute sich, eine Stunde Physik und eine Stunde Geschichte seiner ersten Liebe zu opfern. (Ich weiß, es gibt in der Liebe größere Opfer, aber diese kommen erst später.)
Sie nahmen das Tram bis Jussy. Aber sie umgingen dann das berühmte
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