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Der Tee der drei alten Damen

Der Tee der drei alten Damen

Titel: Der Tee der drei alten Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Er nickte ein paarmal mit seinem mächtigen bärtigen Haupt und sagte dann:
    »Es freut mich, daß ich dich getroffen habe, Jakob. Ich kenne dich nämlich schon lange. Gleich das erste Mal, als ich dich in meiner Vorlesung sah, habe ich nachgefragt, wer du bist. Dein Gesicht hat mir gefallen. Und du hast mich an jemanden erinnert, an jemanden, den ich gern mochte, und der gestorben ist. Heute ähnelst du ihm noch mehr. Vielleicht ist dein Anzug daran schuld. Er trug auch solche grauen Flanellanzüge, er trug auch seidene Hemden. Er ist an dem Abend von mir fortgegangen, jener, dem du gleichst, und ich habe ihn gewarnt. Ich habe ihm gesagt: ›Crawley, nehmen Sie sich in acht!‹ Aber er hat mich ausgelacht: ›Was denken Sie, Professor‹, hat er gesagt, ›eine unschuldige Einladung zum Tee. Zwei alte Damen! Vielleicht drei alte Damen! Und davor soll ich mich fürchten?‹ Weißt du, Jakob, ich bin ihm nachgegangen. Aber ich bin nicht mehr rüstig. Ich habe ihn aus den Augen verloren. Und dann, als ich zu dem Hause kam, worin ich ihn vermutete, war dort alles dunkel. Da bin ich weiterspaziert, den See entlang. Eine Barke zog dort vorüber, fort und fort, in die Menge der Sterne hinein, die im Wasser tanzten. Und dann lag Crawley auf jener Bank, Place du Molard, ein ungeschickter Polizist war um ihn beschäftigt, und ich erkannte den Jungen nimmer. Erst nachher, auf dem Nachhauseweg, fiel es mir ein: Das war ja Crawley! Tot, Jakob, er war tot. Und ich alter Mann war wieder allein. Wenn du wüßtest, was ich diesem Crawley alles zu verdanken habe! Ich will es dir einmal erzählen. Aber ich sehe, daß du mich etwas fragen willst. Los!«
    »Wie war das mit den Fliegen, Professor?«
    »Eine Gegenfrage zuerst, Jakob, hast du die Fliegen auch gesehen, bist du, noch besser gesagt, bist du auch gestochen worden?«
    »Gesehen habe ich sie schon, aber merkwürdig undeutlich. Ich will sagen, ich hätte sie nicht auseinanderkennen können, nicht sagen, ob es Wespen oder Hummeln oder Bremen waren. Warten Sie, ich möchte es deutlicher sagen. Also, ich glaubte, verschiedene Arten von Summen auseinanderkennen zu können, das dumpfe Gebrumm der Hummeln, das wie fernes Glockenläuten tönt, das helle Weinen der Mücken dazwischen und das Pfurren der Bremen. Aber gesehen habe ich nur ein wirres Durcheinander, es wurde finster im Saal, gestochen bin ich nicht worden.«
    »Sehr klar, Jakob, durchaus klar. Frag die andern alle. Gestochen ist keiner worden, das bin ich sicher, obwohl die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen ist, daß einige Leute geschwollene Gesichter bekommen werden, weil sie der festen Überzeugung sind, daß sie gestochen worden sind. Der Überzeugung, verstehst du? Sie haben den Glauben gehabt. Man könnte diese Leute auch Hysteriker nennen. Das ist aber nur ein Schlagwort. Menschen mit großer Einbildungskraft. Diese Menschen (und immer hat es solche, wenn eine Menschenmenge beisammen ist) wirken wie die Relais bei den Telegraphenlinien: sie fangen die Botschaften auf und geben sie verstärkt weiter. Es hat keine Fliegen gegeben, aber es war eine Person im Saal, die so stark das Bild eines Insektenschwarmes gedacht hat, daß sie fähig gewesen ist, es in den Gehirnen der Aufnahmefähigen zu erzeugen, und diese haben es dann weitergegeben und so die ganze Menge mit diesem Bild verseucht. Verstehst du? Ich kann dir versichern, ich habe nichts gesehen, aber gehört habe ich etwas, nämlich ein Gemurmel, das langsam den Klang von Fliegensummen angenommen hat. Und da wußte ich, was los war. Es ist nämlich nicht das erste Mal, daß ich einem solchen Experiment beigewohnt habe. Etwas Ähnliches habe ich vor Jahren erlebt mit einer Frau, mit der ich damals zusammenarbeitete. Aber ich habe nie darüber geschrieben, denn die Kollegen hätten mich ausgelacht.«
    »Also eine Art Massensuggestion?« fragte Jakob und war stolz, sich so wissenschaftlich ausdrücken zu können. Aber er sollte enttäuscht werden, denn Professor Dominicé zuckte mit den Achseln.
    »Fremdworte nützen in solchen Fällen nur wenig. Daß doch die Menschen immer meinen, eine Tatsache erklärt zu haben, wenn sie nur ein recht fremdartiges Wort dafür gefunden haben!«
    Jakob schwieg. Leute gingen vorüber, manche grüßten den Professor mit einer Art demütiger Scheu, aber Dominicé blickte nicht auf. Er hielt den Blick auf den Kies zu seinen Füßen gesenkt, fuhr manchmal zerstreut durch sein weißes, noch sehr dichtes Haar. Plötzlich sagte

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