Der Tee der drei alten Damen
gewesen? Wenn sie jetzt noch dort war, so hätte Ronny sicher aufgeregter getan und sich nicht so schnell beruhigt.
›Ah, bah‹, dachte O'Key, ›ich werde sie heute abend fragen, was sie in Presinge zu tun hatte. Vielleicht antwortet sie mir. Möglich, daß sie Ronny abgeschoben hat, weil sie mit Thévenoz allein sein wollte. Ronny konnte Thévenoz nicht ausstehen, hat sie mir einmal erzählt. Ja, Ronny ist ein Hund mit Menschenkenntnis.‹ Und er gab der Hundeschnauze neben seinem Ohr kleine zärtliche Kopfstöße, und Ronny quittierte sie mit einem leisen, begeisterten Quietschen. Die beiden verstanden sich gut.
Isaak Rosène, der Advokat, war blond. Er saß im großen Speisezimmer seiner Villa, leicht zurückgelehnt, ein weißes Seidentuch hing aus der Brusttasche seines dunkelblauen Rockes, er duftete sanft nach Lavendelwasser und englischen Zigaretten und stach eigentlich ziemlich von seinem Bruder Wladimir ab, dem Arzt, der neben ihm saß, zusammengesunken, in einem grauen Konfektionskleid, die Unterarme auf dem Tisch verschränkt.
»Maman Angèle«, sagte Isaak, nahm den randlosen Kneifer vom Nasensattel und ließ ihn am Bügel um den kleinen Finger kreisen, »wir bekommen Besuch. Du mußt dann auch dabei sein. Macht recht viel schwarzen Kaffee, sag André, er soll die Schnäpse herausstellen, oder nein, warte, schick mir André lieber herein, ich will selber mit ihm sprechen.«
Maman Angèle war klein und trug ein schwarzes, rauschendes Seidenkleid. Wenn sie kochen mußte, zog sie darüber eine große weiße Ärmelschürze, die ihr Wladimir einmal geschenkt hatte. Sie brummte ein wenig, ging aber schließlich doch den Chauffeur und Kammerdiener André holen. Diesem gab dann Isaak seine Aufträge.
»Ja, stell dir vor«, wandte er sich dann an seinen Bruder, »ich bin wie aus den Wolken gefallen. Zuerst bittet mich Jakob, ich solle mich doch des Professors annehmen, und dann telephoniert mir irgendein englischer Journalist in der gleichen Sache, und da habe ich mir gedacht, ich bringe all diese Leute bei mir zusammen, da kann man dann in Ruhe darüber reden. Übrigens, erinnerst du dich noch jener Erpressungsgeschichte, vor – wart einmal, vor fünf, nein sechs Jahren, in der diese Frau de Morsier eine so merkwürdige Rolle gespielt hat?«
»Mhm«, nickte Wladimir und zog an einer dicken Zigarre, die er wie ein amerikanischer Börsenmann im Mundwinkel hielt.
»Es würde mich gar nicht wundern«, sagte Isaak, »wenn wieder diese Frau auftauchen würde. Ich habe noch zur Sicherheit Martinet angeläutet, heut nachmittag. Der hat sich natürlich wieder in die dunklen Wolken seiner Rhetorik gehüllt, aber so viel hab ich doch begriffen, daß der Professor ziemlich kompromittiert ist, daß aber die Behörde nicht wünscht, daß er in diese Mordsachen hineingezogen wird. Zwei Mordsachen, nicht wahr, Wladimir? Und du warst bei beiden handelnder oder sagen wir lieber behandelnder Zuschauer.«
»Mhm«, sagte Wladimir.
»Was hast du heute abend? Kannst du deinen Mund nicht auftun? Meinst du, ich hätte in unserer Familie die Redefähigkeit allein gepachtet? Ja oder nein? Warst du dabei?«
»Mhm«, dann räusperte sich Wladimir und bequemte sich zu einer Antwort. »Eigentlich weiß Thévenoz besser Bescheid, ich bin ja nur ein kleiner Assistenzarzt, während Thévenoz die Aufsicht hat. Ich hab eigentlich wenig mit den Sachen zu tun gehabt.«
»Ein englischer Sekretär ist vergiftet worden? Nicht wahr? Und ist euch unter den Händen gestorben, als es ihm schon besser ging? Und dann hat ein Apotheker daran glauben müssen, der ohnehin diverse dunkle Sachen auf dem Gewissen hatte? Ist es nicht so? Warum hast du nicht Thévenoz mitgebracht, wenn der doch besser Bescheid weiß als du?«
»Thévenoz ist verschwunden. Er ist vor vier Tagen in die Ferien und ich muß seine Abteilung betreuen«, sagte Wladimir. Er zog eine Grimasse. »Ich hab ein paarmal versucht, ihn zu erreichen, telephonisch natürlich, aber er ist nicht in seiner Wohnung. Vielleicht ist er verreist. Soll ich meines Arztes Hüter sein?«
»Bitte, keine Parodien«, sagte Isaak streng.
Es klopfte. André öffnete die Tür und ließ O'Key ein. Isaak stand auf und ging ihm entgegen.
»Es freut mich«, sagte er, »Ihre Bekanntschaft zu machen. Sie sind mir heut nachmittag noch warm empfohlen worden. Hoffentlich kommen wir zusammen zu einer günstigen Entscheidung.«
O'Key verbeugte sich, nahm Platz, nachdem er auch Wladimir die Hand geschüttelt
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