Der Tempel der Ewigkeit
Geiseln zu erschlagen.»
«Dann hätten wir allerdings auch nichts mehr, was uns schützt.»
«Aber wir würden viele Ägypter niedermetzeln, bevor wir wieder das offene Meer erreichen… Doch sie werden die Sicherheit ihrer Landsleute nicht gefährden. Im Morgengrauen kriege ich Helena zurück, und wir machen uns auf die Heimfahrt.»
«Ich werde dieses Land vermissen.»
«Verlierst du den Verstand?»
«In Memphis haben wir doch glücklich und in Frieden gelebt.» «Wir sind zum Kämpfen geboren und nicht zum Faulenzen.» «Und wenn man dich nun meuchlings ermordet? Deine Abwesenheit hat sicher den Ehrgeiz vieler geweckt.»
«Mein Schwert ist noch zuverlässig. Sobald sie sehen, wie Helena mir gehorcht, werden sie begreifen, daß meine Macht ungebrochen ist.»
Ramses hatte dreißig der besten Soldaten ausgesucht, die alle hervorragende Schwimmer waren, und Setaou hatte ihnen gezeigt, wie sie den Sack am geschicktesten öffneten, um die Schlange herauszulassen, ohne selbst gebissen zu werden. Die Gesichter der Freiwilligen verrieten ihre innere Anspannung, während der Regent eine flammende Rede hielt, die ihren Kampfgeist schüren sollte. Seine Zuversicht und die Ruhe, die Setaou ausstrahlte, gaben ihnen das Gefühl, daß sie imstande sein würden, den Plan erfolgreich auszuführen.
Obwohl Ramses es bedauerte, hatte er seiner Mutter und seiner Gemahlin verheimlichen müssen, daß er sich an diesem Überfall beteiligte, denn weder die eine noch die andere hätte ihm zugebilligt, sich auf eine solche Torheit einzulassen. Er mußte die Verantwortung für diesen Angriff allein tragen. Aber wenn das Schicksal den jüngeren Sohn des Sethos dazu ausersehen hatte, die höchste Macht im Staat zu übernehmen, dann würde es ihm auch die Kraft verleihen, diese Prüfung zu bestehen.
Setaou redete auf die Reptilien in den Säcken ein und sprach Beschwörungsformeln, um sie zu beruhigen. Von Lotos hatte er Tonfolgen gelernt, die in menschlichen Ohren keinen Sinn ergaben, für das geheimnisvolle Gehör der Schlangen jedoch etwas bedeuteten.
Sobald er meinte, die ungewöhnlichen Verbündeten der Soldaten seien einsatzbereit, marschierte der kleine Trupp zum Nil. Die Männer sollten am Ende der Hafenmauer, dort, wo die griechischen Späher sie nicht sehen konnten, ins Wasser steigen.
Plötzlich griff der Schlangenbändiger nach dem Arm des Regenten.
«Warte… Schau dir das an, ich könnte schwören, das Boot des Menelaos läuft gerade aus.»
Setaou hatte sich nicht getäuscht.
«Bleibt hier!» befahl Ramses.
Er ließ den Sack mit der Sandviper fallen und rannte in Richtung des griechischen Schiffes davon. Das silbrige Licht des Mondes erhellte den Bug. Dort stand Menelaos und drückte Helena an sich.
«Menelaos!»
Der König von Lakedämon, der seinen doppelten Brustpanzer und den Leibriemen mit der goldenen Schließe umgelegt hatte, erkannte den Regenten sofort.
«Ramses! Du willst mir wohl eine gute Reise wünschen… Laß dir gesagt sein: Helena liebt ihren Mann und wird ihm fortan treu bleiben. Wie klug von ihr, daß sie gekommen ist! In Lakedämon wird sie die glücklichste Frau sein.»
Darauf brach er in schallendes Gelächter aus.
«Laß die Geiseln frei!»
«Sei ohne Sorge, ich schicke sie dir lebend zurück.»
In einem kleinen Boot mit zwei Segeln folgte Ramses den Griechen, hielt jedoch angemessenen Abstand. Bei Tagesanbruch lösten die Soldaten des Menelaos einen ohrenbetäubenden Lärm aus, indem sie mit Speeren und Schwertern auf ihre Schilde schlugen.
Die ägyptische Kriegsflotte gehorchte den Anweisungen des Regenten und der großen königlichen Gemahlin. Sie griff nicht ein, sondern ließ den Weg zum Mittelmeer offen. Menelaos stand es frei, gen Norden aufzubrechen.
Eine Weile dachte Ramses schon, er sei betrogen worden und der König von Lakedämon würde seine Gefangenen doch noch töten. Aber dann wurde eine Barke zu Wasser gelassen, und die Geiseln kletterten auf einer Strickleiter zu ihr hinunter. Die Männer, die noch bei Kräften waren, umklammerten die Ruder und entfernten sich so schnell wie möglich von ihrem schwimmenden Gefängnis.
Helena stand indessen in einem purpurroten Mantel, mit einem weißen Schleier auf dem Kopf und einer goldenen Kette um den Hals im Bug des Schiffes und betrachtete versonnen die Küste Ägyptens. In diesem Land hatte sie einige Monate des Glücks erlebt und die Hoffnung gehegt, dem Los zu entrinnen, das Menelaos ihr aufzwingen wollte.
Sobald die
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