Der Tempel der Ewigkeit
reich und mächtig er auch sein mag, er ist dein Diener.»
«Stelle erst einmal eine genaue Liste seiner Besitztümer zusammen.»
Romet sah keinen Anlaß, über seine neuen Aufgaben zu klagen. Nachdem er gewissenhafte Männer dazu bestimmt hatte, für die Sauberkeit im Palast zu sorgen, lenkte er sein Augenmerk auf den königlichen Tiergarten, in dem drei Katzen, zwei Gazellen, eine Hyäne und zwei Kraniche in Eintracht lebten.
Nur ein einziges Geschöpf entzog sich seiner Kontrolle: Wächter, der goldgelbe Hund des Pharaos. Er hatte die lästige Gewohnheit angenommen, jeden Tag einen Fisch aus dem Teich zu fangen. Da sich dieses Ereignis unter den wachsamen Blicken und dem Schutz des Löwen abspielte, war keinerlei Einschreiten denkbar.
Am frühen Morgen hatte Romet Ameni geholfen, eine schwere Kiste voller Papyrusrollen zu tragen. Woher schöpfte dieser kleine, kränklich aussehende Schreiber, der wenig aß und nachts höchstens drei oder vier Stunden schlief, nur soviel Tatkraft? Unermüdlich brachte er den Großteil seiner Zeit in einer mit Schriftstücken vollgestopften Amtsstube zu, ohne jemals einem Anflug von Erschöpfung nachzugeben.
Ameni schloß sich mit Ramses ein, während Romet seinen täglichen Rundgang durch die Küchen antrat. Hing die Gesundheit des Pharaos und damit das Wohlergehen des ganzen Landes nicht von der Güte seiner Mahlzeiten ab?
Auf niedrigen Tischen entrollte Ameni mehrere Papyri.
«Hier ist das Ergebnis meiner Untersuchungen», erklärte er mit einigem Stolz.
«Erwiesen sie sich als schwierig?»
«Ja und nein. Die Verwalter des Tempels von Karnak waren von meinem Besuch und meinen Fragen nicht sehr angetan, wagten aber nicht, mich daran zu hindern, ihre Angaben zu überprüfen.»
«Ist Karnak sehr reich?»
«Ja, das ist es: vierundzwanzigtausend Bedienstete, sechsundvierzig Baustätten in den Provinzen, die dem Tempel unterstehen, vierhundertfünfzig Gärten, die Anpflanzungen von Obstbäumen und Weinreben eingerechnet, vierhundertzwanzigtausend Stück Vieh, neunzig Schiffe und fünfundsechzig Ansiedlungen unterschiedlicher Größe, deren Bewohner unmittelbar für das größte Heiligtum Ägyptens arbeiten. Sein Oberpriester herrscht über ein ganzes Heer von Schreibern und Bauern. Dieser Aufstellung ist noch eine weitere hinzuzufügen: Zählt man alle Besitztümer des Gottes Amun mit, also auch die seiner Priesterschaft, dann kommen wir auf sechs Millionen Rinder, sechs Millionen Ziegen, zwölf Millionen Esel, acht Millionen Maultiere und etliche Millionen Hühner und Gänse.»
«Amun ist der Gott der Siege und der Beschützer des Reichs.»
«Das bestreitet niemand, doch seine Priester sind auch nur Menschen. Wenn man dazu berufen ist, ein solches Vermögen zu verwalten, wird man dann nicht das Opfer uneingestandener Versuchungen? Ich habe nicht die Zeit gehabt, meine Nachforschungen noch weiter zu treiben, aber ich bin beunruhigt.»
«Hast du dazu einen bestimmten Grund?»
«In Theben warten die Würdenträger mit Ungeduld darauf, daß das königliche Paar gen Norden abreist. Mit anderen Worten: Majestät stört ihre Beschaulichkeit und die vertrauten Spielregeln. Man erwartet von dir, daß du Karnak noch reicher machst und es zu einem Staat im Staate anwachsen läßt, bis zu dem Tag, an dem der Oberpriester des Amun sich zum König des Südens ausruft und die Teilung des Landes herbeiführt.»
«Das wäre der Tod Ägyptens, Ameni.»
«Und würde das Volk ins Elend stürzen.»
«Dafür müßte ich greifbare Beweise haben, ein erkennbares Anzeichen für ein Amtsvergehen. Wenn ich gegen den Oberpriester des Amun einschreite, darf mir kein Fehler unterlaufen.»
«Ich kümmere mich darum.»
Serramanna fand keine Ruhe. Seit die Griechen des Menelaos in Memphis den Anschlag auf Ramses versucht hatten, wußte er, daß sein Leben bedroht war. Gewiß, die Barbaren hatten das Land verlassen, doch die Gefahr war damit nicht gebannt.
Deshalb nahm er regelmäßig die seiner Meinung nach am ehesten anfälligen Bereiche des thebanischen Palastbezirks in Augenschein: das Hauptquartier des Heeres und das der Ordnungshüter sowie die Kaserne der am besten ausgebildeten Truppen. Sollte sich ein Aufstand anbahnen, würde er hier seinen Anfang nehmen. Als ehemaliger Seeräuber vertraute der Sarde nur seinem Instinkt. Ob er es mit einem ranghohen Offizier oder mit einem einfachen Soldaten zu tun hatte, er war immer auf der Hut. Oft hatte er nur überlebt, weil er als erster
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