Der Tempel der Ewigkeit
denkst.»
«Dieser Romet… wenn der nun gelogen und es vielleicht selbst getan hat?»
«Besteht deine Aufgabe nicht darin, das herauszufinden?»
«Das werde ich gewiß tun, Majestät.»
Nach und nach geriet die rituelle Reise des Königspaares zu einem Triumphzug. Ramses’ würdevolles Auftreten beeindruckte seine Statthalter in den Provinzen, die Oberpriester, die Vorsteher der Städte und alle übrigen Vornehmen im gleichen Maß, in dem Nefertaris Liebreiz sie entzückte. Sie waren von der Ausstrahlung des neuen Herrscherpaares überrascht. Ramses säumte nicht, seinen älteren Bruder zu rühmen, den viele Würdenträger kannten und dessen Ernennung zum Obersten Gesandten manche Ängste besänftigt hatte. Zum einen blieb die königliche Familie vereint, und die beiden Brüder gingen ihren Weg Hand in Hand, zum anderen würden Chenars Liebe zu Ägypten und sein Wunsch nach Erhabenheit eine sichere Gewähr für die fortdauernde Bereitschaft zur Verteidigung des Landes bieten, die unabdingbar war, um die ägyptische Kultur gegen die Angriffe der Barbaren zu schützen.
In jedem Hafen, in dem die Flotte anlegte, huldigte das Herrscherpaar auch Tuja. Die bloße Anwesenheit der Mutter des Königs löste Rührung aus und flößte jedem Achtung ein. Zierlich und schweigsam wie immer, verkörperte sie, die sich stets im Hintergrund hielt, Tradition und Beständigkeit, womit sie die Voraussetzungen schuf, daß die Herrschaft ihres jüngeren Sohnes als rechtmäßig erachtet wurde.
Kurz vor Abydos, dem zauberhaften Heiligtum des Osiris, rief Ramses seinen Freund Acha in den Bug des Schiffes. Der junge Gesandte war jeden Tag und zu jedweder Stunde gleichermaßen edel und vornehm gewandet.
«Wie gefällt dir diese Reise, Acha?»
«Majestät erobert die Herzen, und das ist gut so.»
«Ist nicht bei manchen auch viel Heuchelei dabei?»
«Gewiß, aber es geht doch vor allem darum, daß sie deine Herrschaft anerkennen.»
«Wie findest du Chenars Ernennung zum Obersten Gesandten?»
«Sie kam ein wenig überraschend.»
«Mit anderen Worten: Du bist bestürzt.»
«Mir steht es nicht zu, eines Pharaos Entscheidungen zu tadeln.»
«Hältst du meinen Bruder für unfähig?»
«Unter den gegenwärtigen Umständen ist es eine schwierige Kunst, Gesandter zu sein.»
«Wer sollte es wagen, die Macht Ägyptens herauszufordern?»
«Dein persönlicher Triumph in deinem eigenen Land darf dich nicht über die Wirklichkeit außerhalb unserer Grenzen hinwegtäuschen. Der hethitische Feind verharrt nicht in Untätigkeit. Da er weiß, daß du ein Herrscher bist, den er nicht unterschätzen sollte, wird er danach streben, zunächst seine Stellungen auszubauen, ehe er möglicherweise eine kriegerische Handlung ins Auge faßt.»
«Liegen dir genaue Erkenntnisse vor?»
«Vorerst sind es nur Vermutungen.»
«Versteh mich recht, Acha, Chenar ist mein älterer Bruder, eine würdevolle Erscheinung, und obendrein fühlt er sich bei Empfängen und Festmählern überaus wohl. Mit seinem hohlen Gerede wird er die fremdländischen Gesandten in seinen Bann schlagen und selbst daran Gefallen finden. Aber wer weiß, ob er nicht in Versuchung gerät, sich noch auf andere Weise zu zerstreuen, durch Heimtücke etwa oder mit einer Verschwörung. Sein zur Schau getragener guter Wille, mir Amtshilfe zu leisten und ein trefflicher Diener des Staates zu sein, erregt meinen Argwohn. Aus diesem Grund kommt deiner Rolle große Bedeutung zu.»
«Was erwartest du von mir?»
«Ich ernenne dich zum Obersten Kundschafter der Beiden Länder. Wie deinen Vorgängern wird es dir zufallen, die Aufsicht über die Briefschaften der Gesandten zu führen, und dabei wirst du auch Einsicht in die Schriftstücke nehmen, die Chenar verfaßt.»
«Du befiehlst mir also, auszuspionieren, an wen und was er schreibt?»
«Das ist in der Tat eine deiner Aufgaben.»
«Wird Chenar keinen Argwohn gegen mich hegen?»
«Ich habe ihm zu verstehen gegeben, daß er keinerlei Freiheit genießen wird, nach eigenem Gutdünken zu handeln. Solange er weiß, daß er beständig überwacht wird, mag die Versuchung, beklagenswerte Verfehlungen zu begehen, weniger groß sein.»
«Und wenn er meiner Wachsamkeit entrinnt?»
«Dazu besitzt du zu viele Fähigkeiten, mein Freund.»
Als Ramses den heiligen Boden von Abydos erblickte, wurde ihm das Herz schwer. Hier rief ihm alles seinen Vater in Erinnerung. Denn hier hatte Sethos, der den Namen des Gottes Seth in seinem Namen trug, einen riesigen
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