Der Tempel der vier Winde - 8
Bridget.«
Er lief zum Ende des Flures und klopfte an die letzte Tür. Eine Frau mit zerzaustem rotem Haar streckte den Kopf zur Tür heraus, nachdem er leise auf sie eingeredet hatte. Dann zog sie sich wieder ins Zimmer zurück und kam einen Augenblick später wieder hervor, wobei sie einen cremefarbenen Morgenmantel um ihren Körper raffte. Sie schlang einen flüchtigen Knoten in den seidenen Gürtel und folgte Silas durch den Flur zu Richard.
Hier, mitten im Bauch des stinkenden Bordells, wurde Richard mit jedem Augenblick wütender über sich. Er hatte zwar versucht, sachlich zu bleiben, trotzdem hatte er sich bereits darüber gefreut, einen Bruder zu haben. Er begann, Drefan zu mögen. Drefan war ein Heiler. Was hätte edelmütiger sein können?
Silas und die Frau verbeugten sich. Sie sahen beide aus, wie Richard sich fühlte: dreckig, müde und bestürzt.
»Hast du irgendwas gehört?« Bridget schüttelte den Kopf. Ihre Augen wirkten gequält. »Kanntest du die Frau, die gestorben ist?«
»Rose«, sagte Bridget. »Ich bin ihr nur ein einziges Mal begegnet, für ein paar Minuten. Sie ist gestern erst zu uns gekommen.«
»Hat einer von euch eine Idee, wer sie ermordet hat?«
Silas’ und Bridgets Blicke trafen sich.
»Wir wissen, wer es getan hat, Lord Rahl«, behauptete Silas, in dessen Stimme ein leidenschaftlicher Unterton mitschwang. »Der dicke Harry.«
»Der dicke Harry? Wer ist das? Wo können wir ihn finden?«
Zum erstenmal verzog Wut das Gesicht von Silas Latherton. »Ich hätte ihn nicht mehr reinlassen dürfen. Die Frauen mögen ihn nicht.«
»Von uns Mädchen wollte ihn keine mehr bedienen«, sagte Bridget. »Er säuft, und wenn er säuft, wird er fies. Wir haben es nicht nötig, uns so was bieten zu lassen, nicht solange die Armee…« Sie ließ den Satz unbeendet, als ihr Blick auf den General fiel. Sie schlug einen anderen Ton an und fuhr fort: »Im Augenblick haben wir genug Kunden. Wir müssen uns nicht mit schäbigen Säufern wie dem dicken Harry abgeben.«
»Die Frauen sagten alle, sie wollten Harry nicht mehr nehmen«, fügte Silas hinzu. »Als er gestern abend kam, wußte ich, daß alle ihn ablehnen würden. Harry war richtig hartnäckig und wirkte halbwegs nüchtern, also fragte ich Rose, ob sie ihn nehmen würde, schließlich war sie neu und…«
»Und wußte nicht, daß sie in Gefahr war«, beendete Richard den Satz.
»So war das nicht«, entgegnete Silas, als wolle er sich rechtfertigen.
»Harry wirkte nicht betrunken. Aber betrunken oder nicht, ich wußte, die anderen Frauen wollten ihn nicht, also fragte ich Rose, ob sie interessiert sei. Sie meinte, sie könne das Geld gebrauchen. Harry war ihr letzter Gast. Ein wenig später wurde sie entdeckt.«
»Wo können wir diesen Harry finden?«
Silas kniff die Augen zusammen. »In der Unterwelt, da wo er hingehört.«
»Du hast ihn umgebracht?«
»Keiner hat gesehen, wer ihm seine fette Kehle aufgeschlitzt hat. Keine Ahnung, wer es war.«
Richards Blick fiel auf das lange Messer, das in Silas’ Gürtel steckte. Er konnte es dem Mann nicht verdenken. Hätten sie den dicken Harry gefaßt, würde er für sein Verbrechen genau das bekommen, was inzwischen bereits erledigt war. Allerdings hätte er vorher eine Verhandlung und Gelegenheit zu gestehen bekommen, nur um sicherzustellen, daß er die Tat auch wirklich begangen hatte.
Zu diesem Zweck wurden Konfessoren eingesetzt: um sich zu vergewissern, ob man den Richtigen verurteilt hatte. War ein Krimineller erst einmal von deren Magie berührt worden, gestand er all seine Verbrechen. Richard hätte nicht gewollt, daß Kahlan hörte, was man dieser Rose angetan hatte. Schon gar nicht von der Bestie, die die Untat begangen hatte.
Ihm wurde übel bei der Vorstellung, daß Kahlan einen solchen Mann anfassen mußte, einen Mann, der auf so brutale Weise eine Frau ermordet hatte. Er befürchtete, daß er Harry eigenhändig umgebracht hätte, um zu verhindern, daß Kahlan ihn berühren mußte.
Er war sich darüber im klaren, daß sie Männer berührt hatte, die keinen Deut besser waren. Sie sollte dies nie wieder tun müssen. Er konnte sich vorstellen, wie schmerzlich es für sie sein mußte, sich die Beichte derart unmenschlicher Verbrechen in allen Einzelheiten anzuhören. Er mochte nicht daran denken, welch grauenhafte Erinnerungen sie bis in ihre Träume verfolgten.
Richard zwang sich, den Gedanken abzuschütteln, und musterte Bridget. »Wieso bist du geblieben, als die anderen
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