Der Tempel der vier Winde - 8
und dort standen auf dem öden Berggipfel noch ein paar Mauerreste, deren Mauerwerk nicht von Schlingpflanzen und Gehölz überwuchert war, wie es im Tal der Fall gewesen wäre, sondern die statt dessen mit einer Schicht Flechten überzogen waren.
Richard stieg ab und gab Unterkommandant Crawford die Zügel. Das Gebäude links der breiten Straße war, gemessen an den Maßstäben, mit denen Richard aufgewachsen war, groß, verglichen mit den Schlössern und Palästen, die er seitdem besucht hatte, handelte es sich jedoch um ein belangloses Bauwerk.
Die Türöffnung war leer. Übriggeblieben waren die zerfallenden Überreste eines noch immer teilweise mit Blattgold versehenen Türrahmens. Drinnen hallten seine Schritte von den Wänden wider. In einem Raum des dachlosen Gebäudes stand eine Bank aus Stein. Der Brunnen in einem anderen enthielt geschmolzenen Schnee.
Ein gewundener Korridor, dessen Faßgewölbe größtenteils erhalten geblieben war, führte Richard an einem Labyrinth von Räumlichkeiten vorbei. Der Korridor teilte sich und ging, wie er vermutete, zu Zimmern in beiden Ecken des Gebäudes. Er folgte der linken Abzweigung zu deren Ende.
Wie alle Räume auf dieser Seite lag er zum Abgrund hinaus. Leere Rechtecke klafften dort, wo einst Fenster das Zimmer vor Wind und Regen geschützt hatten. Man sah über den Rand des Abgrunds hinaus auf die jenseits im blauen Dunst liegenden Berge.
Hier mußten Besucher und Bittsteller des Tempels darauf gewartet haben, vorgelassen zu werden. Während ihrer Wartezeit dürften sie einen prächtigen Blick auf den Tempel der Winde gehabt haben. Wurden sie abgewiesen, war ihnen wenigstens der geblieben. Fast glaubte er vor Augen zu haben, was die Menschen, die in diesem Raum gestanden hatten, gesehen haben mußten.
Er wußte, es war die Gabe, die ihm das alles mitteilte – beinahe so, wie die Seelen derer, die das Schwert der Wahrheit einst in Händen gehalten hatten, ihn führten, wenn er von seiner Magie Gebrauch machte.
Während er so dastand und hinausblickte, sah er ihn fast vor sich, gleich jenseits des Abgrunds, einen Ort von Größe und Macht. Hierher hatten die Zauberer Gegenstände von erhabener Magie geschafft, um sie sicher zu verwahren. Die Zauberer von damals, einige von ihnen Richards Vorfahren, hatten wahrscheinlich an derselben Stelle gestanden wie er und den Tempel der Winde betrachtet.
Im schwindenden Licht schlenderte er an den stattlichen Säulen draußen vorbei, warf einen Blick in die Wachhütten und die ehemals prachtvollen Gärten, berührte die zerfallenden Gemäuer. Obwohl alles jetzt in Auflösung begriffen war, hatte er keine Mühe, sich den majestätischen Anblick vorzustellen, den dies einst geboten haben mußte.
Er stand mitten auf der breiten Straße, die sich durch die zerfallenden Ruinen zog, spürte, wie sich sein goldenes Cape hinter ihm im Wind blähte, und versuchte sich diesen Ort so vorzustellen, wie er damals gewesen war, versuchte ein Gefühl für ihn zu bekommen. Die Straße mehr noch als die Gebäude gaben ihm das unheimliche Gefühl, das verschwundene Bauwerk stehe unmittelbar dahinter. Einst hatte diese Straße genau in den Tempel der Winde hineingeführt.
Mit großen Schritten lief er die breite Straße entlang und stellte sich vor, er schreite auf den Tempel der Winde zu, jener Winde, die behauptet hatten, Jagd auf ihn zu machen. Er passierte einen Mauerrest, lief zwischen den leeren Steingebäuden hindurch und bekam ein Gefühl für die Zeitlosigkeit dieses Ortes, spürte das Leben, das hier einst geherrscht hatte.
Aber wohin war es entschwunden? Wie sollte er es wiederfinden? Wo sonst konnte er suchen?
Hier hatte er gestanden, und selbst jetzt noch konnte Richard ihn fast sehen, ihn fühlen, ihn spüren, so als ziehe ihn seine Gabe immer weiter, bis nach Hause.
Plötzlich hielt ihn jemand fest.
Ulic auf der einen und Egan auf der anderen Seite hatten ihn unter den Armen gepackt und rissen ihn zurück. Er sah nach unten und erkannte, daß der nächste Schritt ihn hinaus in die Leere geführt hätte. Geier schwebten, keine zwanzig Fuß entfernt, genau vor ihm im Aufwind.
Es war, als stünde er am Rand der Welt. Die Aussicht war schwindelerregend. Die Härchen in seinem Nacken stellten sich auf.
Jenseits der Kante zu seinen Füßen sollte eigentlich noch etwas liegen, das wußte er. Aber dort war nichts.
Der Tempel der Winde war verschwunden.
43. Kapitel
Atme.
Kahlan tat, wie ihr befohlen, stieß die Sliph aus
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