Der Tempel der vier Winde - 8
Aydindril und spricht Kinder an. Und jetzt beginnen sie zu sterben. Der Junge, der gestorben ist, hat er erzählt, sie habe ihm ein Buch gezeigt?«
»Als ich mit Euch auf meine Reise ging, habt Ihr mir diese Dinge gezeigt, die Ihr Bücher nennt und dazu benutzt, Wissen weiterzugeben, aber unsere Kinder kennen so etwas nicht. Wir unterrichten unsere Kinder mit lebenden Worten, wie es uns unsere Ahnen beigebracht haben.
Der Junge erzählte aber, die Frau habe ihm hübsche bunte Lichter gezeigt. Das klingt nicht nach den Büchern, an die ich mich erinnere.«
Kahlan legte Chandalen eine Hand auf den Arm, eine Geste, die ihm früher wegen der damit verbundenen Bedrohung durch die Kraft eines Konfessors angst gemacht hätte, die ihm jetzt jedoch aus einem ganz anderen Grund bedenklich erschien.
»Ihr habt gesagt, wir dürfen uns nicht nahe kommen.«
»Das spielt jetzt keine Rolle mehr«, beruhigte sie ihn. »Ich kann keinen größeren Schaden mehr anrichten. Hier ist dieselbe Seuche ausgebrochen wie in Aydindril.«
»Es tut mir leid, Mutter Konfessor, daß Krankheit und Tod auch Euer Zuhause heimsuchen.«
Sie umarmten sich in Freundschaft und geteilter Angst.
»Was ist das hier für ein Ort, Chandalen? Diese Höhle?«
»Ich habe Euch damals davon erzählt. Es ist der Ort mit der schlechten Luft und dem wertlosen Metall.«
»Dann befinden wir uns nördlich des Dorfes?«
»Nördlich und ein Stück nach Westen.«
»Wie lange wird es dauern, bis wir wieder im Dorf sind?«
Er schlug sich vor die eigene Brust. »Chandalen ist stark und rennt schnell. Ich habe das Dorf verlassen, als die Sonne unterging. Chandalen braucht nicht mehr als ein paar Stunden. Auch im Dunkeln nicht.«
Sie betrachtete das mondbeschienene Grasland jenseits des niedrigen, felsigen Hügels, auf dem sie standen. »Der Mond ist hell genug, um sehen zu können, wohin wir laufen.« Kahlan brachte ein dünnes Lächeln zuwege. »Außerdem müßtest du wissen, daß ich ebenso stark bin wie du, Chandalen.«
Der Schlammensch erwiderte das Lächeln. Es war ein wunderbarer Anblick, selbst unter den gegebenen Umständen.
»Ja, ich erinnere mich genau, wie stark du bist, Mutter Konfessor. Wir werden also rennen.«
Im Mondlicht waren die gespenstischen, kastenförmigen Umrisse des Dorfes der Schlammenschen nur schemenhaft zu erkennen, das verborgen in der dunklen, grasbewachsenen Ebene lag. In den kleinen Fenstern brannten kaum Lichter. Zu dieser späten Stunde waren nicht viele Menschen unterwegs, und Kahlan war froh darüber. Sie wollte sich die Gesichter dieser Menschen, die Angst und den Kummer in ihren Augen, ersparen. Viele von ihnen würden sterben.
Chandalen brachte sie auf dem kürzesten Weg zum Haus der Seelen am Nordende des Dorfes. Die meisten der Gebäude standen dicht beieinander, das Haus der Seelen aber stand ein wenig abseits. Das Mondlicht spiegelte sich auf dem Schindeldach, bei dessen Herstellung Richard geholfen hatte. Wachposten, Chandalens Jäger, hatten das fensterlose Gebäude umstellt.
Draußen vor der Tür, auf einer niedrigen Bank, hockte die väterliche Gestalt des Vogelmannes. Sein silbergraues Haar hing ihm über die Schultern und schimmerte im Mondlicht. Er war nackt. Schwarzer und weißer Schlamm bedeckte seinen Körper und sein Gesicht in einem Durcheinander aus Kreisen und Linien: eine Maske, die alle Teilnehmer der Versammlung trugen, damit die Seelen sie erkennen konnten.
Zwei Töpfe, einer mit weißem und der andere mit schwarzem Schlamm, standen zu Füßen des Vogelmannes auf dem Boden. Anhand des glasigen Blicks in seinen Augen wußte sie, daß er sich in Trance befand und daß Worte ihr nichts nützen würden. Ihr war klar, was sie zu tun hatte.
Sie löste die Schnalle ihres Gürtels. »Chandalen, würde es dir etwas ausmachen, dich umzudrehen, bitte? Und bitte deine Männer, dasselbe zu tun.« Größere Zugeständnisse an ihre Sittsamkeit ließen die Umstände nicht zu.
Chandalen erteilte seinen Männern den Befehl in seiner eigenen Sprache.
»Meine Männer und ich werden das Haus der Seelen bewachen, solange du mit den Ältesten drinnen bist«, erklärte Chandalen ihr über die Schulter hinweg.
Nachdem sie alle ihre Kleider abgestreift hatte und schließlich nackt in der kühlen Nachtluft stand, begann der Vogelmann schweigend, den klebrigen Schlamm aufzutragen, damit die Seelen auch sie erkennen konnten. Schläfrige Hennen hockten auf einer nahen, niedrigen Mauer und verfolgten das Geschehen. In der
Weitere Kostenlose Bücher