Der Tempel der vier Winde - 8
von ihm erwartete. Statt dessen würgte er die Wut hinunter – zusammen mit dem Brei.
»Ich weiß«, antwortete er leise.
Er ging wieder daran, schweigend seinen Brei zu löffeln. Als er fertig war und sicher, daß er seine Fassung wiedergefunden hatte, fuhr er fort.
»Einer aus der Tempelmannschaft, ein Zauberer namens Ricker, gab eine Erklärung ab, bevor man ihn hinrichtete.« Richard zog einen Zettel mit der Übersetzung aus dem unordentlichen Stapel und las sie ihr vor. »›Ich kann nicht länger gutheißen, was wir mit unserer Gabe tun. Wir sind weder der Schöpfer, noch sind wir der Hüter. Selbst eine leidige Hure hat das Recht, ihr Leben so zu gestalten, wie sie will.‹«
»Was meinte er damit?« fragte Kahlan.
»Ich glaube, wenn die Zauberer tatsächlich Menschen mißbrauchten – sie zerstörten –, um Wesen zu schaffen, die sie für die Kriegführung benötigten, dann verwendeten sie dafür Menschen, die aus dem einen oder anderen Grund störend oder lästig waren – Menschen, deren Schicksal ihnen gleichgültig war. Ich habe mir sagen lassen, ein Zauberer müsse die Menschen benutzen. Ich glaube kaum, daß jemand ahnt, welch grauenhafte Herkunft dieser Grundsatz hat.«
Er sah die Bestürzung in ihren Augen.
»Nach dem, was du gelesen hast, Richard, glaubst du, es ist hoffnungslos? Glaubst du, wir können gar nichts tun?«
Richard wußte nicht, was er antworten sollte. Er nahm ihre Hand. »Bevor sie hingerichtet wurden, führte die Tempelmannschaft zu ihrer Verteidigung an, sie hätten den Tempel nicht endgültig verschlossen, was sie leicht hätten tun können, sondern hätten statt dessen eine Möglichkeit gelassen, hinein zugelangen und auf den Hilferuf zu reagieren. Sie behaupteten, wenn die Not wirklich groß genug sei, könne man ihn nach wie vor betreten.
Ich werde hineinkommen, Kahlan. Das schwöre ich.«
Einen kurzen Moment lang leuchtete in ihren wunderschönen Augen so etwas wie Erleichterung auf, doch dann bekam ihr Blick wieder etwas Gehetztes. Richard wußte, was sie dachte. Er hatte sich dieselbe Frage gestellt, als er vom Wahnsinn des Krieges und dem, was die Menschen sich gegenseitig antaten, gelesen hatte.
»Wir benutzen keine Magie, um Menschen für unsere Zwecke zu zerstören, Kahlan. Wir benutzen sie, um etwas zu bekämpfen, dem hilflose Kinder zum Opfer fallen. Wir treten für die Freiheit von Terror und Mord ein.«
Ein vorsichtiges Lächeln kehrte auf ihr Gesicht zurück, und sie drückte seine Hand.
Als es an der offenen Tür klopfte, hoben beide den Kopf.
Es war Drefan. »Darf ich hereinkommen? Ich störe doch nicht, oder?«
»Nein, schon in Ordnung«, sagte Richard. »Komm rein.«
»Ich wollte nur, daß du weißt, daß ich die Karren bestellt habe, wie du es gewünscht hast. Es ist soweit.«
Richard strich sich mit den Fingerspitzen über die Stirn. »Wie viele?«
»Letzte Nacht ein wenig über dreihundert, wenn man davon ausgeht, daß sämtliche Berichte vorliegen. Wie du vermutet hast, können die Menschen diese Menge von Toten nicht mehr bewältigen, und die Zahlen steigen jeden Tag noch.«
Richard nickte. »Wir können die Toten unmöglich warten lassen. Wenn wir tatenlos zusehen, wie sie unter freiem Himmel verwesen, könnte sich die Pest noch schneller ausbreiten. Die Menschen müssen sofort nach ihrem Ableben beerdigt werden. Sag den Männern, ich will, daß die Totenkarren losgeschickt werden, sobald sie das organisiert haben. Ich gebe ihnen bis Sonnenuntergang Zeit.«
»Das habe ich ihnen bereits erklärt. Wie du sagtest, dürfen wir nicht zulassen, daß mit der Pest infizierte Leichen herumliegen, um die sich niemand kümmert. Das könnte die Seuche noch verschlimmern.«
»Kann sie überhaupt noch schlimmer werden?« fragte Richard spöttisch.
Drefan antwortete nicht.
»Entschuldige«, sagte Richard. »Das war nicht der rechte Ton. Hast du irgend etwas gefunden, das uns weiterhelfen könnte?«
Drefan zog die Ärmel seines weißes Hemds herunter. »Gegen die Pest gibt es kein Heilmittel, Richard. Zumindest kenne ich keines. Die einzige Hoffnung besteht darin, gesund zu bleiben. Wo wir gerade davon sprechen, es ist ungesund, den ganzen Tag und den größten Teil der Nacht hier herumzusitzen. Du bekommst schon wieder nicht genug Schlaf. Das sehe ich dir an den Augen an. Ich habe dich schon einmal gewarnt. Du brauchst Bewegung und frische Luft.«
Richard war den Versuch leid, das Buch zu übersetzen, war die Dinge leid, die er entdeckte, wenn
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