Der Tempel der vier Winde - 8
Pflicht.«
Selbst in diesem Punkt war ihnen ein Fehler unterlaufen. Sie ließen einen Teil der Person, die die Sliph einst gewesen war, übrig, um diese ausnutzen zu können. Dieser Teil unterwarf sich allerdings jedem, der den geforderten Preis bezahlte: Magie. Bei der Einschätzung ihres Wesens war ihnen ein Fehler unterlaufen. Sie benutzten sie, mußten sie aber bewachen, weil sie sich jedem andiente – selbst dem Feind –, der den erforderlichen Preis zahlen konnte.
»Sliph«, sagte Richard. »Es tut mir sehr leid, daß die Zauberer dir das zugefügt haben. Dazu hatten sie kein Recht. Es tut mir sehr leid.«
Die Sliph lächelte. »Zauberer Ricker erklärte mir, sollte irgend ein Herr und Meister jemals diese Worte zu mir sprechen, dann soll ich ihm folgendes von ihm überbringen: ›Abwehr links hinein. Abwehr rechts heraus. Hüte dein Herz vor Stein.‹«
»Was soll das bedeuten?«
»Er hat mir die Worte nicht erklärt.«
Richard war übel. Würden sie wegen eines dreitausend Jahre alten Machtkampfes sterben? Vielleicht hatte Jagang recht. Möglicherweise hatte die Magie wirklich keinen Platz mehr in dieser Welt.
Richard drehte sich zu den anderen um.
»Berdine, Ihr braucht Schlaf. Raina muß früh auf den Beinen sein, um Cara abzulösen. Sie muß ebenfalls ins Bett. Stellt eine Wache vor Kahlans Gemächern auf, und dann ruht Ihr Euch beide etwas aus. Mir reicht es ebenfalls für heute.«
Richard schlief wie ein Toter, als er von einer Hand, die ihn anstieß, aufwachte. Er setzte sich auf, rieb sich die Augen und versuchte in panischem Schrecken seine Gedanken wieder zu sammeln.
»Was? Was ist?« Seine Stimme klang in seinen Ohren wie ein Reibeisen.
»Lord Rahl?« war eine tränenreiche Stimme zu vernehmen. »Seid Ihr wach?«
Richard blinzelte zu der Gestalt hinauf, die eine Lampe in der Hand hielt. Anfangs erkannte er nicht, wer es war.
»Berdine?« Nie zuvor hatte er sie in etwas anderem als ihrer Lederuniform gesehen. Jetzt stand sie in einem weißen Nachthemd mitten in seinem Zimmer. Sie trug ihr Haar offen. Er hatte Berdine noch nie ohne ihren Zopf erlebt. Der Anblick verwirrte ihn.
Richard schwang seine Beine über die Bettkante und streifte hastig seine Hosen über. »Was ist, Berdine? Was ist denn los?«
Sie verschmierte die Tränen in ihrem Gesicht. »Bitte kommt, Lord Rahl.« Sie schluchzte. »Raina ist krank.«
53. Kapitel
Verna schloß die Tür, so leise sie konnte, nachdem Warren die wild um sich schlagende Frau wieder in die Dunkelheit gezogen hatte. Seine Hand schloß sich so fest über ihren Mund wie sein Netz um ihre Gabe. Verna hätte die Magie der Frau nicht so gut unter Kontrolle halten können wie Warren. Die Gabe eines Zauberers war stärker als die einer Magierin – selbst stärker als Vernas.
Sie entzündete eine kleine Flamme in ihrer Hand. Die Frau riß die Augen auf, die sich kurz darauf mit Tränen füllten.
»Richtig, Janet, ich bin es, Verna. Wenn du versprichst, nicht loszuschreien und uns nicht zu verraten, werde ich Warren sagen, er soll dich loslassen.«
Janet nickte ernst. Mit der anderen Hand hielt Verna ihren Dacra umklammert und, für den Fall, daß sie sich irrte, vor ihren Blicken verborgen. Sie nickte Warren zu und gab ihm ein Zeichen, die junge Frau loszulassen.
Nachdem sie befreit war, schlang Janet ihr die Arme um den Hals. Warren hob die Hand und ließ ein kleines Flämmchen über ihr tanzen, damit sie etwas erkennen konnten. Wie die übrige Festung bestand der winzige Raum aus gewaltigen Quadern dunklen Steins. Aus manchen Fugen sickerte milchig-trübes Wasser, das auf dem Weg nach unten verkrustete und fleckige Spuren hinterließ.
»Oh, Verna«, flüsterte Janet, »du hast ja keine Ahnung, wie sehr ich mich freue, dich zu sehen.«
Verna nahm die zitternde Frau in die Arme, die sich leise weinend an ihr Gewand klammerte. Noch immer hielt sie den Dacra hinter Janets Rücken in der Hand.
Sie schob Janet sachte von sich und blickte ihr lächelnd in das tränenüberströmte Gesicht. Sie wischte ein paar Tränen fort und strich Janets dunkle Locken glatt.
Die andere küßte ihren Ringfinger – eine Geste aus alter Zeit, mit der man den Schöpfer um Schutz ersuchte. Sie zwar leidlich sicher gewesen, daß Janet dem Licht treu ergeben war, trotzdem war sie erleichtert, als sie sich solcherart bestätigt sah.
Eine Schwester der Finsternis hatte sich dem Hüter der Unterwelt verschworen und würde niemals ihren Ringfinger küssen. Die
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