Der Tempel der vier Winde - 8
dachte, er würde nicht mitbekommen, wie sie den Menschen Befehle gab. Im Augenblick war das egal.
»General Kerson«, sagte Drefan. »Ich will, daß diese pflichtvergessenen Truppen gefunden werden. Wir müssen innerhalb der Armee Disziplin halten, sonst liefern wir uns der Imperialen Ordnung ans Messer. Wenn sie gefunden sind, sollen die Offiziere hingerichtet werden.«
»Was? Ihr wollt, daß ich meine eigenen Leute hinrichte, weil sie die Bande verloren haben –«
»Nein, sondern für ihren Verrat. Wenn die übrigen Männer sehen, daß wir derartige Pflichtvernachlässigung nicht dulden, werden sie es sich zweimal überlegen, ob sie sich unserem Feind anschließen.«
»Unserem Feind, Lord Rahl?«
»Natürlich. Wenn sie ihre Pflicht als D’Haraner, zu dienen und das D’Haranische Reich – ganz zu schweigen von ihrem Lord Rahl – zu schützen, nicht erfüllen, dann unterstützen sie damit den Feind. Das macht sie zu Verrätern! Sie gefährden damit das Leben meiner Gemahlin! Das Leben aller!«
Er strich mit den Fingern über die erhabenen Goldbuchstaben auf dem Heft des Schwertes der Wahrheit – seines Schwertes. Er trug es zu Recht. »Nun, habt Ihr noch mehr zu berichten?«
Der General und Kahlan wechselten heimlich einen Blick.
»Nein, Lord Rahl.«
»Gut. Das wäre dann alles. Wegtreten.« Er wandte sich zu Kahlan und bot ihr seinen Arm. »Komm, mein Liebling. Gehen wir frühstücken.«
61. Kapitel
Benommen stieg Richard vom Thron des Zauberers an der Stirnseite des Saales der Winde herunter. Seine Schritte hallten in der Ferne wider. Es war der Platz, der ihm von Rechts wegen zustand: der Thron des Zauberers. Er war der einzige Kriegszauberer, überhaupt der einzige, der sowohl Additive als auch Subtraktive Magie besaß.
Das Innere des Tempels der Winde war mehr als kolossal. Es überstieg fast jedes Begriffsvermögen. An diesem lautlosen Ort gab es keinerlei Geräusch, es sein denn, er erzeugte selber eines oder wünschte es kraft seines Willens herbei.
Unter der Gewölbedecke, die die himmelstrebenden Höhen weit oben abschloß, hätten Adler Platz gefunden, und dabei wäre ihnen vermutlich kaum aufgefallen, daß sie im Innern eines Gebäudes gefangen waren. Berghabichte, hätte es hier welche gegeben, hätten unterhalb dieses himmlischen Gewölbes dahingleiten, sich in die Tiefe stürzen und sich dabei ganz in ihrem Element fühlen können.
An den Seiten stützten gewaltige Säulen Mauern, die bis in den fernen Schwung des Kreuzrippengewölbes hinaufreichten. Gewaltige, in diese Seitenwände eingelassene Fenster ließen zusätzliches Streulicht herein.
Wenigstens konnte er die Seitenwände sehen. Das weit entfernte Ende des Saales hingegen verlor sich schlicht im Dunst und war nicht zu erkennen.
Fast alles hier hatte die Farbe eines fahlen Nachmittagsdunstes: die Fußböden, die Säulen, die Mauern und die Decke. Fast schien es, als bestünden sie aus diffusem Licht.
Richard war ein winziges Insekt in einer gewaltigen Gebirgsschlucht. Dennoch war der Ort nicht grenzenlos, denn es gab ein Jenseits außerhalb der Mauern.
Früher hätte ihn ein solcher Ort gelähmt und mit Ehrfurcht erfüllt. Heute empfand er weder das eine noch das andere. Er fühlte sich nur benommen.
Zeit hatte hier keinerlei Bedeutung außer der, die er hierherbrachte. Zeit fand keinen Punkt, an dem sie in der Ewigkeit hätte Anker werfen können. Er hätte statt weniger Wochen ein Jahrhundert hierbleiben können und doch nur selbst den Unterschied bemerkt – und lediglich deshalb, weil er es wollte. Das Leben zählte wenig hier: ein Begriff, so bedeutungslos wie das andere Ende der Ewigkeit; auch den hatte er an diesen Ort gebracht. Doch der Tempel der Winde war zu sinnlicher Wahrnehmung fähig und gewährte ihm in seiner von Zauberern geschaffenen steinernen Umarmung Schutz.
Er schlenderte weiter durch den Saal. Zu den Seiten hin, unter jedem Bogen, hinter jedem Säulenpaar, gab es einen überwölbten Nebenraum. Dort ruhten jene magischen Gegenstände, die man hier zur sicheren Verwahrung untergebracht hatte – die aus der Welt des Lebendigen und zu ihrem Schutz hierhergebracht worden waren.
Richard verstand sie und konnte sich ihrer bedienen. Ihm war bewußt, wie gefährlich diese Gegenstände waren und warum manche sie für alle Zeiten weggeschlossen wissen wollten. Das Wissen der Winde gehörte jetzt ihm.
Mit diesem Wissen hatte er der Pest Einhalt geboten. Er hielt das Buch, mit dem man die Seuche
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