Der Tempel der vier Winde - 8
jetzt eine Seele?«
»Nein«, antwortete die Seele. »Ich bin Kahlans Mutter.«
Richards Anspannung löste sich. Er wandte sich ab und setzte seinen Weg durch den Saal fort. »Was willst du?«
Wie dies gelegentlich ihre Art war, folgte ihm die Seele interessiert, ihm, der in ihrer Welt vielleicht eine Merkwürdigkeit darstellte.
»Ich habe dir etwas mitgebracht«, meinte die Seele.
Richard drehte sich um. »Was?«
Sie hielt ihm eine Rose hin. Das Grün des Stiels und das Rot der Blütenblätter hatten in dieser farblosen Welt eine verblüffende Wirkung. Es war eine Augenweide. Ihr Wohlgeruch füllte seine Lungen mit ihrem angenehmen Duft. Er hatte fast vergessen, wie schön diese Dinge sein konnten.
»Was soll ich damit?«
Die Seele hielt sie ihm hin, drängte sie ihm geradezu auf. Er hatte keine Angst vor den Seelen, die ihn besuchten. Selbst jene, die ihn haßten, konnten ihm nichts anhaben. Er wußte sich zu schützen.
Richard nahm die Rose. »Danke.« Er steckte sie in seinen Gürtel.
Dann drehte er sich um und ging weiter. Die Seele von Kahlans Mutter folgte ihm. Er mochte ihr nicht ins Gesicht sehen. Sie war zwar eine Seele, und ihre Gesichtszüge waren durch das ihnen eigene Glühen undeutlich, trotzdem glich sie zu sehr ihrer Tochter.
»Kann ich mit dir sprechen, Richard?«
Seine Schritte hallten durch den Saal. »Wenn du willst.«
»Ich möchte dir von meiner Tochter Kahlan erzählen.«
Richard blieb stehen und drehte sich um. »Warum?«
»Weil sie ein Teil von mir ist. Sie war von meinem Fleisch und Blut, genau wie du vom Fleisch und Blut deiner Mutter bist. Kahlan ist meine Verbindung zur Welt des Lebendigen, zu der Welt, in der ich einst gelebt habe. Und in die du zurückkehren mußt.«
Richard setzte abermals seinen Weg fort. »Mein Zuhause ist hier. Ich habe nicht die geringste Absicht, in diese Welt der Bitterkeit zurückzukehren. Wenn ich eine Nachricht an deine Tochter überbringen soll, muß ich bedauern. Das kann ich nicht. Laß mich in Frieden.«
Er hob die Hand, um sie aus dem Saal zu verbannen, sie dagegen flehte ihn mit erhobenen Händen an, seine Kraft zurückzuhalten.
»Ich will überhaupt nicht, daß du eine Nachricht überbringst. Kahlan weiß, daß ich sie liebe. Ich will mit dir sprechen.«
»Weshalb?«
»Wegen dem, was du Kahlan angetan hast.«
»Ihr angetan? Was habe ich ihr denn angetan?«
»Ich habe ihr einen Sinn für Pflicht anerzogen. ›Konfessoren kennen keine Liebe, Kahlan. Sie kennen nur Pflicht.‹ Das habe ich damals zu ihr gesagt. Zu meiner Schande habe ich ihr nie erklärt, was ich damit meinte. Ich fürchte, ich habe ihr keinen Raum für ihr eigenes Leben gelassen.
Mehr als jeder andere Konfessor, den ich kannte, wollte Kahlan das Leben in vollen Zügen genießen. Die Pflicht hat ihr das größtenteils verwehrt. So wurde sie zu einer so guten Beschützerin ihres Volkes. Sie wollte den Menschen eine Chance geben, glücklich zu werden, weil sie selbst so deutlich erkennt, was ihr verwehrt geblieben ist. Daher bleibt ihr nichts anderes übrig, als die kleinen Freuden zu genießen, wo sie nur kann.«
»Worauf willst du hinaus?«
»Genießt du das Leben nicht, Richard?«
Richard ging weiter. »Das mit der Pflicht verstehe ich. Ich wurde für die Pflicht geboren. Damit habe ich jetzt abgeschlossen. Ich habe mit allem abgeschlossen.«
»Du begreifst genausowenig wie sie, was ich mit Pflicht meine. Für die richtige Person, die Person, die wahrhaft für die Pflicht geboren ist, bedeutet sie eine Form der Liebe, durch die alles möglich wird. Pflicht heißt nicht immer, daß einem Dinge verwehrt bleiben, sondern nur, daß diese auf andere übertragen werden. Pflicht sollte man nicht als lästige Aufgabe auffassen, sondern als etwas, das man am besten in Liebe tut.
Willst du nicht zu ihr zurückkehren, Richard? Sie braucht dich.«
»Kahlan hat jetzt einen Ehemann. In ihrem Leben ist für mich kein Platz.«
»Aber in ihrem Herzen.«
»Kahlan hat gesagt, sie wird mir niemals verzeihen.«
»Hast du noch nie aus Verzweiflung etwas von dir gegeben, das du später bereut hast, Richard? Hast du dir nie gewünscht, du könntest deine Worte ungesagt machen?«
»Ich kann nicht zu ihr zurück. Sie ist mit einem anderen verheiratet. Sie hat einen Eid geschworen, und sie hat … ich werde nicht zurückgehen.«
»Selbst wenn sie mit einem anderen verheiratet ist, selbst wenn du nicht bei ihr sein kannst, selbst wenn es dir das Herz bricht, zu wissen, daß du sie
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