Der Tempel der vier Winde - 8
Kahlan verfolgte, wie er Richtung Nordosten raste, so hell, daß die Sterne in seinem Gleißen verblaßten.
Verna setzte sich mit Warrens Hilfe auf. Er wischte ihr das Blut vom frisch geheilten Unterkiefer.
»Was habt Ihr getan?« fragte Kahlan Nathan.
Er sah sie lange an, dann ging ein Lächeln über seine Lippen. »Ich habe Jagang eine böse Überraschung bereitet. Soeben habe ich General Reibisch das Signal zum Angriff gegeben.«
»Zum Angriff? Zum Angriff gegen wen?«
»Gegen Jagangs Expeditionsstreitkräfte. Sie haben Renwold dem Erdboden gleichgemacht. Zudem planen sie weiteres Unheil in der Neuen Welt, sind aber völlig ahnungslos, wer sie beschattet. Es wird eine kurze Schlacht werden. In der Prophezeiung heißt es, die D’Haraner würden leidenschaftlich kämpfen wie nie zuvor und den Feind noch vor Ende der Nacht auf die traditionelle Art der D’Haraner vernichtend schlagen: ohne Gnade.«
Verna kam wieder auf die Beine. Kahlan hatte sie noch nie so sanftmütig gesehen. »Ich möchte Euch um Verzeihung bitten, Nathan.«
»Ich habe kein Interesse –«
Kahlan legte ihm die Hand auf den Arm und flüsterte ihm etwas zu. »Nathan, bitte, Euch selbst zuliebe, hört Euch an, was sie zu sagen hat.«
Nathan schaute Kahlan einen Moment lang in die Augen, dann richtete er seinen wütenden Blick auf Verna. »Ich höre.«
»Ich kenne Euch schon sehr lange, Nathan. Mein ganzes Leben. Und auch habe ich bereits einige Dinge erlebt … die ich vielleicht nicht recht verstanden habe. Ich dachte, Ihr wolltet selbst die Macht ergreifen. Bitte verzeiht, daß ich auf Euch losgegangen bin, obwohl es meine eigene Schuld war, daß meine Freunde sich gegen mich gewandt haben – gegen uns. Manchmal bin ich etwas vorschnell. Jetzt sehe ich, daß ich das, was sich zwischen Euch und Clarissa abgespielt hat, falsch eingeschätzt habe. Sie hat Euch angehimmelt, und ich dachte – bitte, verzeiht mir, Nathan.«
Nathan brummte zur Antwort: »Wie ich Euch kenne, Verna, ist Euch das so schwergefallen wie noch nie etwas zuvor. Ich verzeihe Euch.« »Danke, Nathan«, seufzte sie.
Er bückte sich und gab Kahlan einen Kuß auf die Wange. »Mögen die Guten Seelen mit Euch sein, Mutter Konfessor. Erzählt Richard, ich hätte ihm seinen Titel zurückgegeben. Vieleicht begegne ich ihm eines Tages doch noch.«
Damit legte er Kahlan die Hände auf die Hüften und hob sie auf den Mauerrand der Sliph.
»Danke, Nathan. Jetzt verstehe ich, wieso Richard Euch mag. Und wieso Clarissa Euch liebte. Ich glaube, sie hat den wahren Nathan erkannt.«
Nathan lächelte, wurde dann aber wieder ernst. »Wenn Ihr zurück seid, müßt Ihr Richards Bruder, wenn Ihr Richard retten wollt, das anbieten, was er wirklich will.«
»Möchtest du reisen?« fragte die Sliph.
Kahlan drehte sich der Magen. »Ja, zurück nach Aydindril.«
»Lebt Richard tatsächlich noch?« fragte Verna.
»Ja«, antwortete Kahlan mit neuerwachter Panik. »Er ist krank, aber sobald ich ihm dieses Buch gebracht habe und es vernichtet ist, wird es ihm wieder bessergehen.«
»Walsh, Bollesdun.« Nathan winkte, während er sich anschickte aufzubrechen. »Meine Kutsche wartet. Brechen wir auf.«
»Aber Nathan«, meinte Warren, »ich möchte noch etwas über Prophezeiungen lernen. Ich möchte bei Euch studieren.«
»Zu einem echten Propheten wird man geboren, nicht gemacht.«
»Wohin geht Ihr?« rief Verna ihm nach. »Ihr könnt nicht fort. Ihr seid ein Prophet. Man kann Euch nicht einfach frei herum … ich meine, wir müssen doch wissen, wo Ihr seid – falls wir Euch brauchen.«
Ohne sich umzudrehen, zeigte Nathan in eine bestimmte Richtung. »Eure Schwestern sind dort entlang, Prälatin. Nach Nordwesten. Geht zu ihnen, und erspart Euch die Mühe, mir zu folgen. Es wird Euch nicht gelingen. Eure Schwestern sind vor dem Traumwandler sicher. Ich habe sie ihre Bande auf mich übertragen lassen, während Richard in der Welt der Toten weilte. Falls Richard überlebt, könnt ihr sie wieder auf ihn übertragen. Lebt wohl, Verna. Warren.«
Kahlan preßte sich eine Faust in den Unterleib. Falls er überlebt? Falls? »Beeil dich«, rief sie der Sliph zu. »So beeil dich doch!«
Ein silbriger Arm hob sie von der Ummauerung und zog sie hinunter in die quecksilbrige Gischt.
66. Kapitel
Er belächelte ihre verzweifelten Bemühungen. Er mochte es, wie sie sich gegen ihn zur Wehr gesetzt hatte. Ihm gefiel es, ihr beizubringen, wie sinnlos es war, sich gegen einen Menschen von
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