Der Tempel zu Jerusalem
Und so gehorchte er beflissen.
Salomo trat
über die Schwelle und näherte sich langsamen Schrittes Hirams Reich.
Die noch vom
Bauzaun verdeckten Tempelwände bestanden aus Ziegeln, die mit Holz verschalt
waren. Der untere Teil setzte sich aus drei Schichten behauener Steine zusammen
mit Reihen von Zedernholzbohlen, die als Verankerung dienten und den
Zusammenhalt bis zum Dach sicherten. Gebälk aus Zedernholz, das in den Wänden
verstrebt war, ergab ein festes Flachdach. Das Ganze vermittelte einen
anmutigen und beschaulichen Eindruck. Der Baumeister hatte es verstanden,
Salomos geheimste Gedanken und seinen heißen Wunsch nach Frieden, der auf der
ganzen Welt erstrahlen sollte, in den Linien des Gebäudes umzusetzen.
Ins Innere
gelangte er nicht hinein. Bretter und Kalksteinblöcke verwehrten ihm den
Zutritt. Enttäuscht wagte sich der König auf den Teil der Baustelle, wo die
Werkzeuge aufgereiht lagen und wo sich Meister Hirams Zeichenwerkstatt befand.
Die Stille an dem sonst so belebten Ort machte ihn irgendwie glücklich. Er
hatte das Gefühl, er arbeitete zusammen mit den Steinmetzen, er sähe ihre
Handbewegungen und setzte sich nach Feierabend zu ihnen. Die Handwerker waren
zwar nicht anwesend, aber dennoch verwandelte ihr Geist die Materie, als ginge
das Werk von allein und auch ohne die Menschen weiter.
Die
Zeichenwerkstatt… Dieser Teil von Hirams Reich war ihm verboten. Hier nahm
Jahwes Heiligtum Gestalt an. Salomo konnte nicht widerstehen, er stemmte sich
gegen die Tür.
Sie ging auf.
Auf der
Schwelle eine winzige Tür aus Granit, im Giebeldreieck eine Inschrift: «Du, der
sich für weise hält, suche weiter nach der Weisheit.» Auf der Decke Sterne mit
fünf Spitzen und dazwischen geflügelte Sonnen. Auf dem Fußboden eine Schnur mit
dreizehn Knoten, die um ein versilbertes Rechteck geschlungen war. Die Krüge
und Vasen in den Winkeln enthielten Zeichendreiecke und Maßstöcke aus Papyrus
mit geometrischen Zeichen. Auf der hinteren Wand eine zweite Inschrift:
«Belaste dich nicht mit weltlichen Gütern; dort, wohin dich deine Schritte
tragen, wird es dir an nichts mangeln, falls du zu den Gerechten zählst.»
Salomo
versenkte sich lange im Inneren der Werkstatt. Hiram hatte sich über ihn lustig
gemacht, wollte ihm eine Lehre erteilen. Als er Kaleb zum Hüter machte, hatte
der Oberbaumeister gewußt, daß er der Neugier, die den König zwangsläufig zur
verlassenen Baustelle ziehen würde, kein Hindernis in den Weg stellte. Worte
und Gegenstände waren absichtlich für den aufdringlichen Besucher angebracht
worden.
Der König
fühlte sich in seiner Eitelkeit getroffen, der Eitelkeit eines Tyrannen. Doch
Salomo hatte das Gefühl erfahren, daß er von jetzt an zu einer Bruderschaft
gehörte, die, anstatt ihn zu demütigen, seine Liebe zur Weisheit bestärkte.
Gern hätte
auch er die Werkzeuge gehandhabt, hätte die Wärme einer Bruderschaft genossen
und sich an der Vollkommenheit einer fertigen Arbeit gefreut.
Doch er war
der König, und kein anderer als er selbst konnte den Weg gehen, den Gott
vorgezeichnet hatte.
War ein Sohn nicht die Krone
der Greise, ein Ölbaumzweig, der unter einem strahlenden Himmel heranwachsen
sollte, der Pfeil in den Händen eines Helden, der Lohn der Weisen? Ja, ein Sohn
würde ein Segen sein.
Die Königin
von Israel wollte Salomo einen Sohn gebären, und dabei halfen ihr mehrere weise
Frauen, die sie auf den Gebärstuhl setzten. Der König malte sich bereits den
köstlichen Augenblick aus, wenn er den kleinen, gewaschenen, mit Salz
abgeriebenen und in Windeln gewickelten Körper in den Armen hielt, ehe er ihn
zahlreichen, jubelnden Helferinnen zeigte. Der Herrscher durchlebte die
Beschneidungszeremonie. Säuberlich würde der Priester die Vorhaut entfernen und
ein Pflaster aus Öl, Kümmel und Wein auf die Wunde legen. Dazu würde der Vater
den Sohn auf die Knie nehmen, seinen Schmerz mittels seines Zaubers stillen und
ihm von seiner Zukunft als Thronerbe erzählen. Er würde ihn lehren, daß jemand,
der nicht den Stock gebrauchte, sein Kind hassen müsse. Irrsinn und Verderben
warteten auf den, den der Vater nicht auf den Himmel ausrichtete.
Nagsaras
Wehgeschrei machte Salomo besorgt. Die junge Frau litt aufgrund der himmlischen
Strafe, mit der die Geburt des Menschen bis zum Ende der Zeit belegt war.
Dann wurde
sie entbunden.
Eine weise
Frau reichte Salomo das Neugeborene.
Der König
wies es zurück.
Nagsara hatte
ihm keinen Sohn, sondern eine
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