Der Tempel zu Jerusalem
Beginn des täglichen Gottesdienstes verkündeten, erschollen. Die Königin
von Saba zeigte sich auf der Stelle des Vorhofes, der Heiden vorbehalten war.
Zadok und die Priester waren sich sicher, daß sie nicht weitergehen würde. Nur
ein wahrer Gläubiger hatte das Recht, diese Grenze zu überschreiten.
Balkis, die in einem Gewand
aus Gold und Purpur prangte, blieb stehen.
Salomo ging
ihr entgegen. Er reichte ihr die Hand und führte sie zum Platz für die Frauen.
Empört wandten sich etliche Priester ab. Als Israels König und die Königin von
Saba über den Israeliten vorbehaltenen Hof schritten, stieg Zadok angewidert
von soviel Dreistigkeit zum Hauptaltar hinauf, wo Kuchen aus Öl und Mehl, ein
Gemisch aus Weihrauch, Onyx und Galbanum und ein Ochsenschenkel lagen. Er
widmete sich lieber der Kultfeier, als einem Verstoß gegen die Bräuche
beizuwohnen. Doch eine Fliege besudelte das Fleisch, und da wußte der
Hohepriester, daß es ein Unglück geben würde. Seit Menschengedenken hatte kein
Insekt die dem HERRN geweihten Gerichte unrein gemacht.
Als sich
Zadok umdrehte, sah er, wie Balkis und Salomo auf den Priestern vorbehaltenen
Hof zugingen…
Zadok entzündete
das Brandopfer, warf sich zu Boden und pries Jahwes Namen. Die Tempelmusiker
widmeten sich ihrer Aufgabe. Der Älteste setzte ein Widderhorn an den Mund, das
an den Laut erinnerte, den Moses gehört hatte, als er den Berg der Offenbarung
bestieg. Alsdann fielen Harfen, Querflöten, Zithern, Lyren und Tamburine ein.
Der Rauch des
Opfers und die rituelle Musik stiegen zu den Wolken hoch. Zadok kam die Stufen
vom Altar herunter.
«König von
Israel, ich wehre mich auf das entschiedenste gegen diesen Verstoß gegen das
Gesetz. Wir befinden uns hier auf dem Priesterhof, und kein anderer…»
«Alles
verlasse den heiligen Ort», befahl Salomo. «Ich möchte mit der Königin von Saba
allein sein.»
Der
Hohepriester beherrschte seinen Zorn und gehorchte.
Balkis wußte
die Menschenleere zu würdigen, die sich ihr nun bot. Jahwes in Sonnenschein
gebadeter Tempel gehörte ihr allein. Hirams Meisterwerk gehörte ihr allein. Da
ihr die Sonne zu grell schien, sprach die Königin von Saba mit melodiöser
Stimme die Namen von etlichen Vögeln aus, und die kamen herbeigeflogen und
verdunkelten die Sonne. Eine Haubenlerche setzte sich auf Balkis’ linke
Schulter. Jahwes Tempel war erfüllt von Flügelschlag, fröhlichem Geflatter und
hellem Gezwitscher.
«Sprichst du
die Sprache der Vögel?» wollte Salomo wissen.
«Sie schenken
uns ein wenig Frische, Majestät. Verkörpern sich die Seelen der Gerechten nicht
in diesen zarten Geschöpfen, die im Licht leben und den Himmel bewohnen?»
Salomo sah keine Bläue mehr
und vergaß den Vorhof des Tempels. Er ertrank im Blick dieser Frau, die aus
fernen Landen gekommen war, in denen der Odem der Berge zu Gold wurde. Ein
unbekanntes Gefühl ergriff sein Herz, ein Gefühl, das ihm die Kraft ewiger
Jugend und ein Verlangen wie rauschendes Wildwasser eingab.
Die Haubenlerche flog davon.
Die Steine
des Tempels waren in ein goldenes Licht getaucht, wie es am Anbeginn der Zeit
entstanden war.
Jerobeam hätte sich keine
bessere Gelegenheit wünschen können. Die Königin von Saba stieg allein die
Stufen vom Priesterhof hinunter. Salomo folgte ihr nicht, er wirkte wie
berauscht von einer Gnade, die er nur allmählich begriff.
Die Königin ging gemessenen
Schrittes und bewunderte in aller Ruhe die Gebäude, die Meister Hirams Genie
erschaffen hatte. Die Priester hatten sich gemäß Salomos Befehl entfernt.
Wenn Balkis
um die Ecke des Hauses vom Walde Libanon bog, wollte Jerobeam zuschlagen.
Salomo hatte
sich endlich aufgerafft und folgte der Königin. Doch er kam sich wie in einem
Schraubstock gefangen vor, so als ob Balkis eine Distanz zwischen sich und ihn
gelegt hätte, die er nicht aufholen konnte. Die junge Frau betrat den Durchgang
zwischen der Gerichtshalle und der königlichen Schatzkammer.
Jerobeam
machte einen Satz und spannte den Kupferdraht, mit dem er die Königin von Saba
erdrosseln wollte.
Balkis
zitterte nicht. Sie wußte sofort, daß der Mann, der den Kopf in einer Kapuze
verbarg, sie töten wollte. Furchtlos blickte sie ihn an und rief aufs neue eine
Unzahl von Vögeln herbei.
Jerobeam
machte einen Schritt vorwärts, stieß jedoch gegen eine unsichtbare Mauer. Seine
Wut gab ihm die Kraft, um sie herumzugehen. Er stand schon dicht vor Balkis,
als er den ersten Schnabelhieb auf seinem Kopf
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