Der Tempel zu Jerusalem
werden muß.»
«Wo hast du deine Kunst
gelernt?»
«In der Wüste
beim Betrachten von Steinen und Sand. Das sind die Materialien der Ewigkeit.»
«Nur ein
Ägypter kann das so ausdrücken. Aber einem Ägypter hätte Salomo niemals
erlaubt, Jahwes Tempel zu bauen!»
Hiram schwieg. Er witterte
eine Falle. Ihm war nur die Unterhaltung mit der Materie vertraut, die Fragen
dieser Frau mit dem hellen Kopf zu beantworten, das stellte ihn auf eine harte
Probe. Doch der Klang ihrer Stimme bereitete ihm Vergnügen.
«Deinetwegen,
Meister Hiram, habe ich diese lange Reise unternommen. Dein Freund, der Oberste
Ratgeber, gehört deiner Baumeister-Bruderschaft an. Er hat darauf bestanden,
daß ich mein Gold schicken und zum Bau des Tempels beitragen sollte. Ich wollte
das Gebäude sehen.»
«Bist du
enttäuscht?»
«Im
Gegenteil. Ich habe zugleich einen großen König entdeckt.»
«Du bist doch
Erbin einer uralten Weisheit, Majestät. Willst du wirklich ein Bündnis oder
noch Schlimmeres mit dem Sohn eines Hirten, dem Häuptling eines rebellischen
Volkes ohne Traditionen, schließen?»
Bestürzt
musterte die Königin von Saba den Oberbaumeister.
«Ein
verwunderlicher Zorn! Weißt du denn nicht, daß Israel keine schwache Nation
mehr ist? Die Traditionen, die ihm noch fehlen, die hast du ihm doch selbst
geschenkt, als du diesen Tempel gebaut hast, oder? Bist du eifersüchtig auf
Salomo?»
Hiram schlug
mit der Faust auf einen Pfeiler ein, verschwand und ließ die Königin von Saba,
deren herrlicher Leib in der nächtlichen Bläue durch ihr Leinengewand
schimmerte, einfach im Mondschein stehen.
Die ganze
Nacht hindurch meißelte Hiram. Ein Fieber hatte ihn ergriffen. Er formte einen
Granitblock, dem er Balkis’ Gestalt gab, einer Frau aus Schatten und Licht,
einer fernen Göttin, die gekommen war, um die Welt der Menschen zu quälen,
einer Erscheinung aus dem Jenseits, die ihm zu nahe war, als daß er sie
vergessen konnte. Er formte die runden Brüste, die schmalen Hüften, den flachen
Bauch, die langen Beine, und seine Hand zitterte nicht. Sie führte zur
verborgenen Schönheit im Stein, ließ eine Königin entstehen, die er liebkosen
konnte und die ihm nie gehören würde.
Am Morgen
zerstörte er sein Werk.
Salomo stieg die sechs Stufen
hoch, die zum Thron führten. Er setzte sich auf den goldenen Sitz und legte die
Arme auf die Armlehnen aus Elfenbein.
Ihm fiel auf,
daß die Anwesenden zahlreich waren und schwiegen. In der ersten Reihe Zadok und
die Priester, hinter ihnen die Würdenträger des Reiches. Links vom Thron, unten
an der Estrade, der Oberhofmeister; rechts Elihap mit Palette und einem Bündel
Schreibbinsen bewaffnet. Dank der Täfelungen aus Zedernholz glich die
Gerichtshalle einer Kapelle, in der niemand seinen Leidenschaften freien Lauf
ließ.
Salomo führte
den Vorsitz bei seinem ersten Gerichtstag in dem Gebäude, das Meister Hiram
gebaut hatte. Dieser arbeitete an den letzten Verschönerungen des Hauses vom
Walde Libanon; er baute Verstecke, die die goldenen Schilde aufnehmen sollten.
«Wir haben
über das unwürdige Betragen des ehemaligen Fronvogts Jerobeam zu richten. Er
ist der Fahnenflucht und des Mordes angeklagt. Auf die Einberufung des
Schreibers hat er nicht reagiert. Weiß einer unter euch, wo er sich versteckt?»
General
Banajas bat um das Wort.
«Ich,
Majestät. Ich habe gerade einen Bericht erhalten, der keinen Zweifel an
Jerobeams Ruchlosigkeit läßt. Er ist an den ägyptischen Hof geflohen. Unser
Gesetz kennt nur eine Strafe für Mörder und Verräter: den Tod.»
Nagsara weinte heiße,
stürmische Kindertränen, die sie nicht zurückhalten konnte. Ihr jämmerliches Komplott
war gescheitert. Die Königin von Saba bezauberte weiterhin Salomos Herz.
Demnächst würde sie in Israel herrschen und die ägyptische Gemahlin des Königs
für alle Zeiten der Verzweiflung und der Schmach überantworten.
Salomo gegenüber
empfand Nagsara keinerlei Verbitterung. Er war einer Zauberin erlegen, die in
einem verfluchten Land geboren worden und gekommen war, um im Lande Jahwes
Unglück zu säen. Ihr Gemahl war ein Opfer böser Mächte, Balkis’ Zauber hatte
ihn blind gemacht.
Aber sie, die
Ägypterin, würde ihn niemals loslassen.
Der Stolz
einer Rasse, die Pyramiden und Tempel gebaut, die Wüste fruchtbar gemacht und
die Weisheit vorangetrieben hatte, erwachte in ihr. Dazu kam noch der Adel
eines Geschlechts von Königinnen, die sich darauf verstanden hatten, den
mächtigsten
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