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Der Tempel zu Jerusalem

Der Tempel zu Jerusalem

Titel: Der Tempel zu Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jacq
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jenseits der Form
erkennen, jenseits selbst des Lichts, in dem er sich verbirgt? Ich bin kein
Weiser, Balkis. Ich habe Abhandlungen über die Geheimnisse der Pflanzen, der
Mineralien, der Tiere und der Steine geschrieben. Keiner kennt das Wort des
Windes oder die Botschaft der unterirdischen Geister besser als ich. In den
kommenden Jahrhunderten werden Zauberer Salomos Schlüssel verwenden, mit dem
sie das Tor zu den Mysterien der Natur öffnen. Dadurch werden sie an meiner
Macht teilhaben. Aber das alles ist nur eitel. Was könnte ich mir darüber
hinaus wünschen? Alle bestätigen mir, daß ich große Macht in Händen halte, alle
bemerken, daß ich die Kunst des Heilens und der Beschwichtigung der Seelen
ausübe, alle bewundern meinen Erfolg bei der Durchsetzung meiner Ziele, o ja.
Nichts wird von diesen falschen Reichtümern übrigbleiben. Sie sind nur ein
Trugbild. Ich bin kein Weiser, Balkis, aber ich brauche deine Liebe.»
    Die Haubenlerche
fiel aus dem Himmel und setzte sich auf die rechte Schulter der Königin von
Saba. In ihrem Gesang konnte die junge Frau Worte aus einem uralten Gedicht
ausmachen, in dem es um Liebesgefühle ging: «Bis der Tag kühl wird und die
Schatten schwinden, will ich ins Myrrhengebirge gehen und zum Weihrauchhügel.
Dort wird er auf dich warten und dich verwirren.»
    Es gab keinen
schöneren Mann als Salomo. Es gab keinen von gewandterem Auftreten. Auch wenn
er sich erniedrigt hatte und Qualen litt, die er verheimlichte, so war er noch
immer der edle Herrscher, den die Stürme zwar durchschütteln, aber nicht
zerstören konnten. Was Balkis verspürte, war mehr als die Bewunderung einer
Königin für einen König. Sich in seine Arme zu stürzen, sich an ihn zu
schmiegen, sich ihm hinzugeben… warum verbot es ihr Schicksal, daß sie sich wie
eine von Leidenschaft berauschte Frau benahm?
    «Du bist die
Nachfahrin des berühmten Sem, des Vorvaters der Hebräer und der Araber», rief
Salomo ihr ins Gedächtnis. «Wenn du einwilligst, mich zu heiraten, erschaffen
wir die verlorengegangene Einheit aufs neue. Und wir halten für immer das
Gespenst des Krieges fern.»
    «Du irrst
sehr», hielt sie dagegen. «Das Königreich, das wir schaffen würden, würde
zuviel Begehrlichkeit wecken. Unsere Nachbarn würden sich zum Kampf gegen uns
vereinen. Und wer von uns würde es hinnehmen, sich dem anderen zu unterwerfen?
Salomo, du darfst nicht träumen. Dazu hast du kein Recht.»
    «Ich habe vom
Frieden geträumt, Balkis, und ich habe ihn errungen. Ich habe vom Tempel
geträumt, und er ist gebaut. Ich habe von der Liebe geträumt, und da bist du
gekommen. Warum sollte ich diese Hoffnung begraben?»
    «Saba ist so weit…»
    «Denk darüber
nach, bitte.»
    Balkis war im
Begriff nachzugeben, als sie auf der Straße eine ockergelbe Staubwolke
erblickte. Ein Reiter, der zur Leibwache des Königs gehörte, tauchte auf.
Atemlos wandte er sich an König Salomo und sagte gehetzt:
    «Verzeihung,
Majestät… aber deine Mutter liegt im Sterben.»
     
     
    Salomo hatte den Wunsch seiner
Mutter befolgt und Bathseba seit dem Tag nicht wiedergesehen, als sie
beschlossen hatte, den Hof zu verlassen und sich in ein Haus am See Genezareth
zurückzuziehen, wo David sie geliebt und darüber einen Sommer lang die
Anforderungen seines Amtes vergessen hatte.
    Bathseba auf ihrem
Sterbebett wiegte sich in leidenschaftliche Erinnerungen, in denen der König
mit der Lyra sie mit seinen Gedichten bezauberte.
    Als Salomo an
ihr Lager trat und niederkniete, damit er seiner Mutter die Hand küssen konnte,
machten die Todesqualen der alten Königin aufs neue zu schaffen.
    «Endlich,
mein Sohn… ehe ich ins Reich der Schatten gehe, wollte ich dich ein letztes Mal
sprechen.»
    «Warum diese
düsteren Gedanken?»
    «Eine Königin
weiß, wann sie stirbt, und empfängt den Tod wie einen wohlwollenden Freund.
Aber das Herz blutet mir deinetwegen.»
    «Welchen
Schmerz habe ich dir bereitet?»
    «Du vernachlässigst die Frau,
die dich liebt. Du suchst nach Freuden, die sich in Traurigkeit umkehren
werden.»
    «Ich will
nichts als Frieden, Mutter.»
    «Den wird die
Königin von Saba nicht festigen. Nagsara hat ihn dir gebracht. Du machst einen
großen Fehler, wenn du sie nicht achtest. Und jetzt geh, ich muß mich bereit
machen. Sei gerecht, Salomo. Sei deines Vaters würdig.»
     
     
    Balkis hatte die Nacht lieber
in dem Landhaus verbracht. Die Sonne war bereits aufgegangen, als es an die Tür
klopfte. Die junge Frau lief und

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