Der Tempel zu Jerusalem
Zart fuhr sie über eine Kehle, die sie vor nicht allzu langer Zeit
noch hatte durchschneiden wollen.
Das Essen war hervorragend.
Kaleb hatte ein Linsengericht mit Zwiebeln gekocht und Eierfrüchte und grüne
Pfefferschoten hinzugefügt. Danach verschlang der ausgehungerte Hinkefuß noch
einen Kressesalat.
«Ich habe die
besten Lieferanten», erklärte er. «Sie bebauen kleine, windgeschützte Gärten in
der Unterstadt.»
Jählings
stieß Kaleb einen Schmerzensschrei aus und legte die Hand an die Wange.
«Schon wieder
dieser vermaledeite Zahn… Es zerreißt mir noch den Kopf. So geht das nicht
weiter. Er muß raus. Aber der Schmied ist teuer… Hast du zufällig ein kleines
Silberstück…»
«Gibt es hier
denn keine Ärzte?» verwunderte sich Hiram.
«Zähneziehen
ist Schmiedsarbeit.»
Die Zahnärzte
der Schule von Sais in Unterägypten hätten diese Sitte nicht gutgeheißen, sie,
die sich in schmerzlosem Zahnziehen übten, so daß der Patient nicht leiden
mußte, und die die Wunde mit pflanzlichen Substanzen schützten, damit sie sich
nicht entzündete.
«Ich begleite
dich», sagte Hiram.
«Mich? Nur
keine Umstände, mein Gebieter. Ein Silberstück reicht.»
Doch der
Oberbaumeister machte bereits die Tür auf. Der Hinkefuß begriff, daß sich sein
Herr, wenn er einen Entschluß gefaßt hatte, von niemandem davon abbringen ließ.
Kapitel 20
Der
Schmied sass, von den Flammen der Esse
rot angestrahlt, unweit seines Ambosses und bearbeitete gerade eine Pflugschar.
Kaleb, der Hinkefuß, näherte sich ihm und wollte ihm leise etwas sagen. Doch
Hiram kam ihm zuvor.
«Mein Diener
hat Zahnschmerzen. Der Zahn muß heraus.»
Kaleb fuhr
zurück. Der Schmied ließ von seiner Arbeit ab und griff zu einer Zange.
«Ich habe
keine Schmerzen mehr», erklärte Kaleb.
«Bezahle den
Arzt», befahl Hiram.
«Mein Fürst…
so viel verdient er nicht…»
Der Schmied
packte den Hinkefuß am Hals, als ergriffe er eine Katze. Er warf ihn auf den
Fußboden aus gestampftem Lehm und öffnete ihm den Mund.
«Nutzlos»,
meinte er. «Seine Zähne sind verfault, die fallen von allein heraus.»
Kaleb rollte
sich zur Seite und freute sich, daß er seinem Folterknecht entkommen war.
«Wie viele
Schmiede gibt es in Jerusalem?» erkundigte sich Hiram.
«Ein knappes
Dutzend.»
«Welche
Aufgaben haben sie?»
«Sie stellen
Werkzeuge für die Bauern her.»
«Keine staatliche Schmiede?»
«Keine.»
Derart
aufgeklärt schlug Hiram eine Gasse ein, die zum Palast hinaufführte. Er ging
schnell, und Kaleb konnte nur mit Mühe folgen. Vor einem halbnackten
Einbeinigen, der an einer abbröckelnden Hauswand lehnte, blieb der
Oberbaumeister stehen.
«Brot,
Gebieter… ich habe seit drei Tagen nichts zu essen gehabt…» Kaleb trat den
Elenden in die Seite.
«Gehen wir
weiter, mein Fürst», sagte er zu Hiram. «Wir wollen uns doch von diesen
Bettlern nicht belästigen lassen. Solche wie den gibt es zu Hunderten, arme
Teufel, Kranke, die unsere schöne Stadt verunzieren.»
Hiram gab dem
Einbeinigen ein Kupferstück. Der riß es ihm aus der Hand und zerkratzte sie,
während Hiram weiterging. Sogleich kamen aus dunklen Ecken Dutzende
schmutziger, übelriechender Gestalten, die sich auf den Neureichen stürzten und
versuchten, ihm seine Beute zu entreißen. Eine wilde Schlacht begann. Kaleb zog
Hiram fort.
«Nicht
hierbleiben, mein Fürst. Du könntest einen bösen Hieb abbekommen.»
Ganz in
Gedanken übersah Hiram andere Bettler, andere ausgestreckte Hände, andere
finstere Blicke. Er ging geradewegs zum königlichen Palast und traf auf Salomos
Leibwache. Er stellte sich als der Baumeister vor, den der Herrscher angestellt
hatte, und bat um eine Audienz.
Kaleb hatte
sich verzogen. Der Anblick von Uniformen, Lanzen und Schwertern hatte ihn in
blanke Panik versetzt. Vielleicht hätten ihn einige Soldaten als den
Karawanenräuber erkannt, dessen Kopf zahlreiche Händler forderten.
Hiram mußte
nicht lange warten. Der Oberhofmeister holte ihn und führte ihn in einen von
zwei Kohlebecken geheizten Saal, wo Salomo auf einem Holzstuhl mit braunem
Polster saß und las. Der König von Israel prüfte die Sprüche, die er in einem
Buch sammeln wollte.
«Deine
Ruhepause ist ja kurz gewesen, Meister Hiram. Nimm dir einen Schemel.»
«Majestät,
ich stehe lieber. Was ich auf den Straßen von Jerusalem gesehen habe, verlockt
mich nicht zu längerem Bleiben.»
Salomo rollte
den Papyrus auf.
«Die
Unseligen dort, die Hunger und
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