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Der Tempel zu Jerusalem

Der Tempel zu Jerusalem

Titel: Der Tempel zu Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jacq
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Durst leiden… Glaubst du, daß mich dieser
Anblick freut? Denkst du, daß mich dieses Elend gleichgültig läßt?»
    In Ägypten,
so dachte Hiram, wird kein Fest gefeiert, solange es noch einen einzigen Armen
im Dorf gibt. Die Familien kommen ihm zu Hilfe. Und jeder kann sich an den
Pharao wenden, der das Wohl seines Volkes gewährleistet. Und ist es nicht
erklärtes Ziel des Adels, die Hungrigen zu speisen, den Durstigen zu trinken zu
geben und die Nackten zu bekleiden?
    Salomo erhob sich.
    «Überlasse
mir das Regieren meines Volkes, beschäftige du dich lieber mit deinen neuen
Ämtern. Falls du ihrer überhaupt würdig bist, Meister Hiram. Siehst du diesen
Elfenbeinstab, der zwischen zwei Steinen steckt? Um ihn herum ist der Palast
Davids gebaut, so wie ein Prophet ihn angewiesen hat. Wer ihn ergreifen kann,
ist der nächste Oberbaumeister. Seine Hand bleibt unversehrt. Wenn nicht, so
verbrennt sie. Machst du diese Feuerprobe?»
    Hiram trat zu
dem Stab. Ach, wie gern wäre er gescheitert! Ach, wie gern hätte er einen Teil
seines Körpers hingegeben, wenn er nur unverzüglich nach Ägypten heimkehren
konnte! Wenn Salomo ihn als unwürdig entließ, mußte er zurück in sein
Heimatland.
    Hiram ergriff
den Elfenbeinstab.
    Sofort
durchzuckte ihn eine Hitze, die fast unerträglich war. Sein Herz jubelte schon
hoffnungsfroh. Der Schmerz war gar nicht mehr so schwer zu ertragen. Auch wenn
seine Haut an diesem Symbol hebräischer Macht haftenblieb, auch wenn er seine
Hand nicht mehr gebrauchen konnte, er mußte noch länger festhalten. Sein
Scheitern kündete von kommendem Glück.
    Salomo sah
ihm an den Augen an, wie ihn der Schmerz packte. Es roch nach verbranntem
Fleisch. Aber der Oberbaumeister ließ seine Beute nicht los.
    Auf den
Verbrennungsschmerz folgte eine starke Kälte. Hiram trat von dem Stab zurück
und betrachtete verwundert seine Hand.
    «Es gereicht
Gott zur höheren Ehre, Dinge im verborgenen zu lassen», sagte Salomo. «Und zu
der von Königen, sie offenzulegen. Diese Feuerprobe zeigt dir dich selbst,
Meister Hiram. Wie kannst du da noch länger an deinem Los zweifeln?»
    Der Herrscher
entzündete eine Lampe aus Bronze mit sieben Löchern. Ihr kunstvoll ziselierter
Henkel stellte einen judäischen Leoparden dar. Duft von Olivenöl verbreitete
sich im Raum. Der prächtige Gegenstand, einer der wenigen schönen im Palast,
hatte Nathan gehört. So ehrte Salomo seinen Lehrer, der ihn erleuchtet hatte.
    Der König
packte Hiram bei den Schultern, umarmte ihn und küßte ihn auf die Wangen, als
wäre er ihm ebenbürtig. Eigentlich hätte der Oberbaumeister auf die Knie fallen
und dem Herrscher Hände und Füße küssen müssen. Er begnügte sich jedoch damit,
dieses Zeichen königlicher Achtung entgegenzunehmen.
    «Du bist der
Mensch, auf den ich seit dem ersten Tag meiner Regierung gewartet habe»,
gestand ihm Salomo. «Du bist der Mensch, der den Friedenstempel bauen wird.
Jeder Augenblick deines Lebens soll fortan auf dieses eine Ziel gerichtet
sein.»
    «Aber,
Gebieter, du nimmst mir dieses Leben.»
    Hiram glaubte
nicht an Salomos Aufrichtigkeit. Seine offen gezeigte Zuneigung sollte nur dazu
dienen, einen scheuen Menschen für sich einzunehmen. Die einzige Ehre, der der
Baumeister dienen sollte, war die des ehrgeizigsten aller Könige.
    «Die
himmlischen Zeichen haben dich erwählt, Meister Hiram. Es ist dir vorbestimmt,
denn es ist nicht Zufall, der deine Schritte nach Jerusalem gelenkt hat. Deine
Aufgabe ist übermenschlich. Vergiß das nie.»
    Salomo
öffnete eine Truhe aus Akazienholz, holte einen langen, purpurfarbenen Umhang
heraus und legte ihn dem Baumeister um die Schultern.
    «Das hier ist deine
Amtstracht, Meister Hiram. Die trägst du bis zu dem Tag, an dem deine Aufgabe
beendet ist.»
    «Ich gehe
lieber im Lederschurz. Wenn ich diesen Umhang verkaufen würde, wie viele Arme
könnte ich wohl davon speisen?»
    Das war eine schlimme
Beleidigung, doch Salomo bewahrte Ruhe.
    «Falls wir
den Tempel nicht bauen, wird das Elend noch größer. Menschen leben nämlich
nicht vom Brot allein. Man muß einem Volk auch eine geistige Mitte geben. Es
muß wissen, daß es einen geheiligten Raum gibt, in dem sich die göttliche
Gegenwart jeden Tag manifestiert. Nur sie führt die Seele eines Landes zu einem
Glück über die Zeit hinaus, einem Glück, das der Schlüssel zum Glück des
einzelnen ist. Wenn du diesen Amtsumhang verkaufst, wäre das ein Vergehen gegen
den Geist. Finde lieber einen Weg, wie wir an

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