Der Tempel zu Jerusalem
von
Banajas zur Wache abgestellte Soldat hatte seinen Posten verlassen und unter
dem Vorbau des Nachbarhauses Schutz suchen müssen.
Jemand versuchte, in das Haus
des Baumeisters einzudringen.
Hiram riß die
Tür auf.
Vor ihm stand
ein tropfnasser, ausgemergelter Hund, eine Kreuzung aus Wolf und Schakal. Seine
braunen Augen bettelten, jedoch nicht kraftlos und unterwürfig.
«Komm», sagte
Hiram.
Der verirrte
Hund stemmte die Vorderpfoten auf die Schwelle und witterte den Geruch des
Hauses. Der schien ihm zuzusagen, er warf dem Oberbaumeister einen schiefen
Blick zu und betrat vorsichtig den Innenhof.
Als er
zufrieden japste und Hiram die Hand leckte, wachte Kaleb auf. Beim Anblick des
Tieres wurde er wütend.
«Jag ihn weg,
mein Fürst! Das ist eins von den Ungeheuern, die Unrat fressen!»
Hiram hinderte den Hinkefuß
daran, das Tier zu schlagen.
«Er bleibt
hier», entschied er. «Und er heißt Anup.»
Anup, die
Verkleinerungsform von Anubis, war der Wüstenschakal, der in tiefer Nacht
herumstreifte und die Erde von Abfällen befreite. Anubis, der die Verstorbenen
mumifizierte und den Leichnam für die Wiederauferstehung bereitmachte.
War es nicht der Geist
Anubis’, der in Gestalt eines Hundes kam, Hiram Ägypten brachte und ihn daran
erinnerte, daß am Ende seines irdischen Wegs die schönen Pfade des Jenseits
begannen?
Nagsara
verließ ihre Gemächer allein mit einem Kohlebecken voller Holzkohle und einem
Becher mit frischem Weihrauch. Sie schlug einen uralten Rundweg ein, dessen
moosbedeckte Steine schon bald von Wildkräutern entblößt sein würden. Der
kleinste Ausrutscher verurteilte den Spaziergänger dazu, einen sehr steilen
Abhang hinunterzustürzen und sich die Knochen zu brechen. Die Wolken teilten
sich, der Mond erhellte Israels Königin den Weg.
Nagsara
zitterte nicht. Ihr Fuß trat sicher auf. Sie schlug einen Pfad ein, der zum
Gipfel einer Felsspitze führte, die gegenüber der Stelle lag, auf der Salomo
den Tempel erbauen wollte. Der Tag war nicht mehr fern, aber noch lag Jerusalem
in Dunkelheit getaucht. In Tanis, der ägyptischen Hauptstadt, wo die Prinzessin
gelebt hatte, brannten die ganze Nacht hindurch Lampen auf den Dächern der
Heiligtümer, in denen die Astrologen arbeiteten.
Die Laschheit hier
begünstigte das Vorhaben der Königin. Mit jedem Viertel des Mondes feierte sie
den Hathor-Kult fern der haßerfüllten Blicke der Priester, die gelobt hatten,
sie zu vernichten. Nagsara wußte, daß die Mehrheit des Volkes sie liebte, stolz
auf die aufsehenerregende Vermählung des Königs war und die Geistlichkeit
verabscheute. Diese wollte nicht zulassen, daß die Gemahlin Salomos an ihrem
Glauben an die fremdländischen Gottheiten festhielt, deren Existenz Jahwe
leugnete.
Nagsara scherte sich nicht um
diese Meinung. Ihr Herz litt unter Salomos Gleichgültigkeit. Die Zeit hatte
ihre Leidenschaft für diesen König, der sie so bezauberte, nicht dämpfen
können. Salomo liebte sie nicht. Er hatte mit ihr gespielt wie mit einer
Nebenfrau. Wenn er ihr noch Achtung bezeugte, dann wegen ihrer diplomatischen
Rolle. Die leidenschaftliche, hingebungsvolle Frau sah er nicht mehr. Seine
Gedanken drehten sich nur noch um den geplanten Tempelbau.
Die Ägypterin
erreichte eine flache Stelle, in deren Mitte ein plumper Altar stand. Der Wind
pfiff ihr um die Ohren. Er war zwar noch kalt, doch man konnte schon den
herannahenden Frühling spüren.
Nagsara warf
ihren Umhang ab. Darunter trug sie das traditionelle Gewand einer
Hathor-Priesterin, eine weiße Tunika mit Trägern, die ihre Brüste freiließ. Sie
schmiegte sich an den zierlichen Leib der jungen Frau, die jetzt das
Kohlebecken aufmachte. Die rotglühenden Kohlen verbreiteten ein geheimes Licht,
das nur dem Himmel und den Augen der Göttin sichtbar war. Auf diesem
bescheidenen Becken verstreute die Königin jetzt die Weihrauchkörner. Ihr Duft
verflog in der Nachtluft allzu rasch, aber er erinnerte Nagsara an die heiligen
Feste in Tanis, wenn der Pharao den zarten Duft aller Dinge zu dem verborgenen
Gott, zu Amun, hochwolken ließ.
Der Mond
schien ungewohnt hell und zeugte inmitten seines Sternenhofs für die Gegenwart
der Himmelsgöttin.
«Höre mich
an, Hathor», betete Nagsara und hob die Hände über dem Altar. «Mach, daß dein
Zauber Salomos Seele übermannt. Mach, daß seine Augen mich betrachten und an
mir hängenbleiben. Verjage die Tempelidee, die mir den Mann raubt, den ich
liebe. Hathor, erhöre das Gebet deiner Dienerin.
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