Der Tempel zu Jerusalem
eine
andere die Gießereien am Ufer des Jordan. Menschen ertranken. Bei den
Fronarbeitern zählte man an die hundert Opfer. Jerobeam erklärte, daß er nicht
in der Lage sei, etwas gegen die Katastrophe auszurichten, und machte Hiram
dafür verantwortlich. Der Oberbaumeister stahl sich nicht aus der
Verantwortung, sondern organisierte mit Hilfe Salomos Rettungsmannschaften.
Werkzeuge und
behauene Steine hatten auch Schaden genommen. Der wichtigste Steinbruch war
überflutet und wochenlang nicht mehr zu gebrauchen. Nichtbefestigte Straßen
standen unter Wasser, so daß keine Fahrzeuge mehr durchkamen. Einige Gegenden
waren für längere Zeit von der Außenwelt abgeschnitten.
Zadok und die
Priester prophezeiten ein Ende der Arbeiten. Im Volk wuchs der Unwille gegen
Meister Hiram. Die Begeisterung der Anfangsjahre erlahmte. Der Tempel wurde zu
einem Trugbild. Auf dem Felsen stand fürs erste der königliche Palast. Salomo
hatte seinen Ruf gefestigt. Was wollte er mehr?
Mit Hilfe
seiner Meister entzündete Hiram Lagerfeuer, um die sich die Arbeiter scharen
konnten. Die königliche Verwaltung wachte darüber, daß es ihnen weder an
Nahrung noch an Kleidung fehlte. Der König und Meister Hiram vereinten ihre
Anstrengungen. Hirams Wort war eine wirksame Waffe; mit seiner Begeisterung und
Überzeugungskraft überredete er seine Bruderschaft, daß sie die Baustelle nicht
verließ und den Bauplan bis zum Schluß durchhielt.
Das gleiche
erklärte Salomo vor dem Thronrat. Das Volk wußte, daß der Wille des Königs
unerschütterlich war.
Als die Sonne
wieder schien, gingen die Fluten zurück. Die Arbeit wurde wiederaufgenommen.
Keiner der durch das Auflegen des Siegels genesenen Arbeiter war umgekommen.
Das Wetter war wieder heiter, und das wurde Salomo zugeschrieben, dessen
Weisheit sogar Gott erkannte.
Kapitel 35
Hirams Charakter
verdüsterte sich. Daß die Schönheit des Palastes Salomo zur Ehre
gereichte und nicht ihm, war ihm einerlei. Doch der Bau des Tempels wurde immer
schwieriger und verlängerte die Zeit seiner Verbannung. Die Fronarbeiter
beklagten sich. Jerobeam sprach in ihrem Namen: Er beschwerte sich über ihr
elendes Leben, für das allein Hiram verantwortlich war. Um die wachsende Wut zu
dämpfen, war Salomo gezwungen gewesen, den Lohn zu erhöhen, wodurch sich seine
Schatzkammer schneller leerte, als ihm lieb war.
Einige
Lehrlinge waren zu Gesellen befördert worden, doch kein Geselle war Meister
geworden. Die durch Hiram neu Berufenen bildeten den Kern der Bruderschaft und
schwiegen sich über die Geheimnisse, die sie kannten, aus. Den Gesellen, die
von ihnen Beförderung und bessere Bezahlung forderten, erwiderten die Meister
einhellig, das könnten sie nicht entscheiden. Nur Hiram ernannte einen Gesellen,
wenn er ihn für gut hielt, zum Meister. Ein ungeduldiger Lehrling, der sich
erlaubt hatte, den Oberbaumeister zu schmähen, wurde in sein Dorf
zurückgeschickt. Das hielt man allgemein für eine strenge Strafe, doch niemand
begehrte dagegen auf.
Hiram gestand
sich nur eine einzige Freude zu: lange Spaziergänge über Land mit seinem Hund,
und das einige Stunden in der Woche. Da vergaß er die Alltagssorgen, träumte
von seiner verlorenen Freiheit, dachte an die Landschaften Ägyptens. Er
unterhielt sich mit der Sonne und der Luft und glaubte, die Last, die sein
Leben war, ablegen zu können. Er genoß die trügerische Vorstellung, er wäre ein
Reisender und bräche in sein Heimatland auf.
Doch dieses
Mal war der Ausflug nicht nach seinem Geschmack, glich einem Gericht ohne Salz.
Die Ausführung des Bauplans entsprach nicht den Forderungen des Baumeisters.
Die Ruhezeiten waren zu lang. Die Arbeiter erlahmten. Trotz der fröhlichen
Sprünge seines Hundes und der frühlingshaft erwachenden Natur dachte Hiram
ununterbrochen über eine Neuorganisierung der Arbeit nach. Morgen würde er die
Bautrupps verdoppeln und mehr aus den Fronarbeitern herausholen.
Wie an jedem Vorabend des
Sabbat säuberte Kaleb den unterirdischen Raum, den sich Meister Hiram zur
Wohnung erkoren hatte. Er hatte die Lampen mit Öl gefüllt und einen Teller mit
Saubohnen, einen Fladen und Feigen auf einen Stein gestellt. Am Tag der
geheiligten Ruhe verlangte die Tradition, daß die Küche kalt blieb.
«Schon wieder
dieser Sabbat», protestierte Hiram.
«Das ist unsere
heiligste Tradition», meinte der Hinkefuß. «Die befolgen wir schon seit
Generationen. Hat Gott selbst nicht auch am siebten Tag geruht,
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