Der Tempel
Tod und dass das Götzenbild zusammen mit einem Rudel tödlicher Rapas in einem geheimnisvollen Tempel zur Ruhe gebettet worden war.
Typisch war, dass die spanische Kolonialregierung einige verschämte Berichte über den Tod des Bruders des Gouverneurs, Hernando, herausgab. Darin hieß es, dass er auf der Fahrt über einige nicht auf Karten verzeichnete Flüsse ehrbar und tapfer durch die Hände eines unbekannten Eingeborenenstamms zu Tode gekommen sei. Wenn meine Landsleute nur die Wahrheit wüssten!
Ich weiß, dass die Inka Lieder über unsere Abenteuer singen – ja, diese Lieder erwähnen Bassarios Namen – und dass diese Balladen auch nach der Eroberung ihrer Länder durch die Spanier weitergesungen werden.
Die Goldesser, sagen sie, konnten ihnen ihr Land fortnehmen, ihre Häuser verbrennen, ihr Volk foltern und ermorden.
Aber sie konnten ihm nicht seinen Geist nehmen.
Bis auf den heutigen Tag weiß ich nicht, was Renco mit den beiden Götzenbildern im Tempel getan hat.
Ich kann lediglich vermuten, dass er in seiner Weisheit die Gerüchte vorausgeahnt hat, die sich nach unserem Sieg über Hernando verbreiten würden. Wie Solon wusste er, dass die Menschen, hörten sie von dem Götzenbild im Tempel, danach suchen würden.
Ich stelle mir vor, dass er das falsche Götzenbild an eine Stelle in der Nähe des Eingangs gelegt hat. Jemand, der den Tempel auf der Suche nach dem Götzenbild öffnet, wird daher zuerst auf das falsche Götzenbild stoßen.
Aber ich spekuliere. Sicher weiß ich es nicht.
Denn ich habe ihn nie wiedergesehen.
Ich meinerseits ertrug das Leben in der Hölle nicht mehr, zu der Neu-Hispanien geworden war, und entschloss mich zur Rückkehr nach Europa.
Nachdem ich von der wunderschönen Lena und dem edlen Bassario Abschied genommen habe, bin ich mit Hilfe mehrerer Inkaführer zu einer Karawane Richtung Norden gestoßen, die durch die Berge Neu-Hispaniens zog.
Immer weiter ging ich, durch Dschungel, Berge und Wüsten, bis ich schließlich das Land der Azteken erreichte, das Cortez im Namen Spaniens einige Jahre zuvor erobert hatte.
Dort gelang es mir, durch Bestechung an Bord eines mit gestohlenem Gold beladenen Handelsschoners zu kommen, der nach Europa fuhr.
Einige Monate später traf ich in Barcelona ein und von dort aus reiste ich zu dieser Abtei hoch in den Pyrenäen, einem Ort, der weit entfernt ist von der Welt des Königs und seinen blutdürstigen Konquistadoren. Hier wurde ich alt. Jede Nacht träumte ich von meinen Abenteuern in Neu-Hispanien und wünschte mir einen jeden Augenblick, dass ich nur einen weiteren Tag mit meinem guten Freund Renco hätte verbringen dürfen.
***
Race wendete die Seite um.
Doch er war am Ende des Manuskripts angelangt.
Er blickte durch die Kabine der Goose nach vorn. Hinter der Windschutzscheibe des kleinen Wasserflugzeugs sah er die Gipfel der Anden scharf und spitz in den Himmel aufragen.
Bald würden sie wieder in Vilcafor eintreffen.
Race seufzte traurig, während er über die Geschichte nachsann, die er gerade gelesen hatte. Er dachte an Alberto Santiagos Tapferkeit und an Rencos Opfer, an die Freundschaft, die sich zwischen den beiden entwickelt hatte. Und er dachte an die beiden Götzenbilder, die im Tempel ruhten.
Einen Augenblick lang geriet er ins Grübeln.
Etwas stimmte daran nicht.
Das Manuskript hatte so plötzlich, so abrupt geendet. Und wenn er es sich jetzt so überlegte, dann stimmte auch etwas an dem ersten Nukleotid-Resonanztest nicht, den Lauren gestern zur Bestimmung der Lage des echten Thyrium-Götzenbildes durchgeführt hatte – vielmehr am Ergebnis.
Der Gedanke an Lauren und Frank Nashs Expedition ließ eine ganze Anzahl weiterer Überlegungen in Race aufkeimen.
Dass Nash nicht von der DARPA war. Dass er in Wirklichkeit Kommandeur einer Einheit der Army war, die versuchte, das richtige Supernova-Team auf dem Weg zum Thyrium-Götzenbild auszustechen – ein Team der Navy. Und dass Nash Race durch Lug und Trug zur Teilnahme an dieser Mission bewogen hatte.
Race schüttelte diese Gedanken ab.
Er musste sich überlegen, wie er nach seiner Rückkehr nach Vilcafor mit Nash umging – sollte er den Colonel mit seinen Fragen konfrontieren oder wäre es besser für ihn, wenn er den Mund hielt und Nash nicht wissen ließ, wie viel er wusste?
Wie dem auch sei, er würde sich bald entscheiden müssen, denn kaum hatte er die Lektüre des Manuskripts beendet, da kippte das Wasserflugzeug sanft unter ihm weg und senkte
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