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Der Tempel

Der Tempel

Titel: Der Tempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Reilly
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war Renco extrem bedrückt.
    Das Ziel seiner Reise, sagte er, befand sich in einem Gewölbe innerhalb des Coricancha oder Sonnentempels in Cusco. Doch Renco hatte an diesem Tag erfahren – er hatte ein Gespräch zwischen zwei Wächtern an Bord der Hulk mitgehört –, dass die Stadt Cusco vor kurzem gefallen war und die Spanier innerhalb ihrer Mauern ungehemmt raubten und plünderten.
    Ich hatte ebenfalls von der Einnahme Cuscos erfahren. Es hieß, die Plünderung, die dort vonstatten ging, sei eine der räuberischsten der ganzen Eroberung. Gerüchte kursierten, dass spanische Soldaten in ihrer Gier nach den unermesslichen Mengen Gold ihre Kameraden umbrachten.
    Solche Geschichten erfüllten mich mit Abscheu. Erst sechs Monate zuvor war ich mit all den törichten Idealen eines Novizen in Neu-Hispanien eingetroffen – mit dem Wunsch, alle heidnischen Eingeborenen zu unserem edlen katholischen Glauben zu bekehren, dem Traum, an der Spitze einer Schwadron Soldaten zu stehen und dabei ein Kruzifix vor mich zu halten, mit der Illusion, Kirchen mit hohen, spitzen Türmen zu erbauen, die der Neid Europas wären. Aber diese Ideale zerbrachen rasch angesichts der unbarmherzigen Akte der Grausamkeit und Gier meiner Landsleute, deren Zeuge ich an jedem Tag wurde.
    Mord, Plünderung, Vergewaltigung – das waren nicht die Taten von Männern, die im Namen Gottes kämpften. Das waren die Taten von Banditen, von Verbrechern. Und so fragte ich mich in jenen Augenblicken, da meine Enttäuschung am größten war – so, als ich Zeuge wurde, wie ein spanischer Soldat eine Frau enthauptete, um an ihre goldene Halskette zu kommen –, ob ich auf der richtigen Seite kämpfte. Dass spanische Soldaten so weit waren, einander während der Plünderung Cuscos umzubringen, überraschte mich daher nicht weiter.
    An dieser Stelle sollte ich erwähnen, dass mir zuvor schon Gerüchte von Rencos heiligem Götzenbild zu Ohren gekommen waren.
    Es war weithin bekannt, dass Hernando Pizarro, der Bruder und Oberbefehlshaber des Gouverneurs, eine unglaubliche Summe für jeden Hinweis ausgesetzt hatte, der zur Entdeckung des Götzenbildes führte. Meiner Ansicht nach war es der Verehrung und Hingabe, die die Inka ihrem Götzenbild schenkten, zu verdanken, dass nicht ein Einziger von ihnen den Aufbewahrungsort als Gegenleistung für Hernandos sagenhafte Belohnung verraten hatte. Es beschämt mich zu sagen, dass ich nicht daran glaube, dass meine Landsleute unter ähnlichen Umständen das Gleiche getan hätten.
    Doch trotz aller Geschichten, die ich von der Plünderung Cuscos vernommen hatte, hatte ich nie von der Entdeckung des Götzenbildes gehört.
    Wäre es gefunden worden, so hätte sich die Kunde von seiner Entdeckung wie ein Lauffeuer verbreitet. Denn der glückliche Fußsoldat, der es entdeckt hätte, wäre sogleich zum Ritter geschlagen, auf der Stelle vom Gouverneur zum Marquis ernannt worden und hätte den Rest seines Lebens in Spanien in grenzenlosem Luxus verbracht.
    Und dennoch hatte es bisher keine solche Geschichte gegeben.
    Was mich zu dem Schluss führte, dass die Spanier das Götzenbild in Cusco bislang nicht gefunden hatten.
    »Bruder Alberto«, sagte Renco mit flehendem Blick, »hilf mir! Hilf mir, diesem schwimmenden Käfig zu entkommen, damit ich meine Mission vollenden kann. Nur ich kann das Götzenbild meines Volkes zurückbringen. Und da die Spanier Cusco halten, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie es finden.«
    Nun ja.
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. So etwas könnte ich niemals tun – ich könnte ihm niemals zur Flucht verhelfen. Ich würde mich zu einem Gejagten machen, einem Verräter am eigenen Land. Wenn ich erwischt würde, wäre ich derjenige, der in diesem schwimmenden, höllenähnlichen Kerker gefangen gehalten würde. Daher verließ ich die Hulk ohne ein weiteres Wort.
    Aber ich würde zurückkehren. Und ich würde erneut mit Renco sprechen – und erneut würde er mich bitten, ihm zu helfen, die Stimme voller Leidenschaft, der Blick bettelnd.
    Wann immer ich über diese Sache nachdachte, würden meine Gedanken stets zu zwei Dingen zurückkehren: meiner abgrundtiefen Enttäuschung über die abscheulichen Taten jener Männer, die ich meine Landsleute nannte, und meiner Bewunderung für die stoische Weigerung des Inkavolkes, den geheimen Ort ihres Götzenbildes angesichts eines derart überwältigenden Unglücks zu verraten.
    In der Tat war ich niemals Zeuge einer so unerschöpflichen Verehrung geworden. Ich

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