Der Tempel
während ein breites, burggrabenähnliches Gewässer die gesamte Enklave umgab.
Die Zitadelle von Vilcafor.
Doch keiner von uns hatte wirklich Augen für die prächtige Zitadelle. Auch nahmen wir nicht viel Notiz von dem Ort ringsherum, der in rauchenden Trümmern lag.
Nein, wir hatten nur Augen für die Leichen, Dutzende von Leichen, die blutüberströmt auf der Hauptstraße lagen.
Zweite
Konfrontation
Montag, 4. Januar, 15.40 Uhr
Race blätterte die Seite um und suchte nach dem nächsten Kapitel, doch es war nicht vorhanden. Dies war anscheinend die letzte Seite des Manuskripts.
Verdammt! , dachte er.
Er schaute aus dem Fenster der Hercules und erblickte die Propeller draußen auf der grün gespritzten Tragfläche, sah die schneebedeckten Gipfel der Anden darunter glitzern.
Dann blickte er zu Nash hinüber, der auf der anderen Seite des Mittelgangs saß und an seinem Laptop arbeitete. » Ist das alles, was da ist?«, fragte er.
»Bitte?« Nash runzelte die Stirn.
»Das Manuskript. Ist das alles, was wir haben?«
»Sie meinen, Sie haben es bereits fertig übersetzt?«
»Ja.«
»Und? Wissen Sie, wo das Götzenbild ist?«
»Nun, gewissermaßen«, erwiderte Race und blickte auf die Notizen hinab, die er sich bei der Übersetzung des Manuskripts gemacht hatte. Sie lauteten:
CUSCO VERLASSEN -> IN DIE BERGE
ORTE: RUMAC, SIPO, HUANCO, OCUYU
COLCO – PAUCARTAMBO – DORT STEINBRUCH
11 TAGE – ERREICHEN REGENWALD
FLUSSSTÄDTE: PAXU, TUPRA, ROYA
STEINTOTEMS – GESCHNITZT IN GESTALT KATZENÄHNLICHER WESEN – FÜHREN ZUR ZITADELLE VON VILCAFOR
TOTEM-CODE – FOLGE DEM SCHWANZ DES RAPA BEIM
ERSTEN TOTEM, ANSCHLIESSEND BEI JEDEM
ZWEITEN TOTEM DEM »SONNENMAL«
FOLGTEN TOTEMS NÖRDLICH ÜBER REGENWALDSENKE - ERREICHTEN TAFELLAND, DAS ZU VORGEBIRGEN FÜHRT
AM LETZTEN TOTEM FLUSSAUFWÄRTS RICHTUNG BERGE – FANDEN ZITADELLE IN RUINEN
» Was meinen Sie mit gewissermaßen ?«, fragte Nash.
»Na ja, das ist das Problem«, erwiderte Race. »Das Manuskript endet praktisch mitten im Satz, nachdem sie den Ort Vilcafor erreicht haben. Es folgt offensichtlich noch etwas, aber das ist nicht da.« Er fügte nicht hinzu, dass er die Geschichte allmählich ziemlich interessant fand und eigentlich mehr davon lesen wollte . »Haben wir ganz bestimmt nicht mehr vorliegen?«
»Ich fürchte, ja«, meinte Nash. »Bedenken Sie, das ist nicht das Originalmanuskript, sondern bloß eine halb vollendete Kopie davon, die ein anderer Mönch viele Jahre, nachdem Santiago das Original verfasste, transkribiert hatte. Dies ist alles, was vorhanden ist. Mehr konnte dieser Mönch nicht kopieren.«
Er runzelte die Stirn. »Ich hatte gehofft, dass wir daraus erfahren, wo genau das Götzenbild ist. Aber wenn es das nicht hergibt, muss ich die allgemeinen Umstände kennen: wo suchen, wo mit der Suche beginnen. Wir können dank unserer Technologie den Aufenthaltsort des Götzenbildes festlegen, wenn wir wissen, wo wir mit unserer Suche anzufangen haben. Und ich habe das Gefühl, dass Sie inzwischen genug wissen, um mir zu sagen, wo wir anfangen müssen. Also, schießen Sie los!«
Race zeigte Nash seine Notizen und erzählte ihm die Geschichte von Renco Capac und der Flucht aus Cusco. Aufgrund des Gelesenen, sagte er, gehe er davon aus, dass Renco sein Ziel erreicht habe – die Zitadellenstadt Vilcafor am Fuß der Anden. Abschließend erklärte er, dass das Manuskript detailliert schildere, wie man diese Stadt erreiche – solange sie etwas Bestimmtes wüssten.
»Und was ist das?«, fragte Nash.
»Angenommen, die Steintotems sind noch vorhanden«, erwiderte Race, »dann muss man wissen, was das Sonnenmal ist. Wenn man das nicht weiß, kann man die Totems nicht lesen.«
Stir nr unzelnd wandte sich Nash an Walter Chambers, den Anthropologen und Inkaexperten, der wenige Sitze entfernt saß. »Walter. Wissen Sie etwas von einem Sonnenmal in der Inkakultur?«
»Das Sonnenmal? Ja, natürlich.«
»Was ist das?«
Schulterzuckend kam Chambers herüber. »Es ist schlicht ein Muttermal. So ähnlich wie das von Professor Race.« Er nickte mit dem Kinn in Richtung von Race’ Brille und der dunklen, dreieckigen Hautu nr einheit unter dessen linkem Auge. Race hätte sich am liebsten unsichtbar gemacht. Seit seiner Kindheit hasste er dieses Muttermal. Er fand, es sah aus wie ein verschmierter Kaffeefleck im Gesicht.
»Die Inka hielten Muttermale für Zeichen der Ehre«, erläuterte Chambers. »Zeichen, die von den Göttern persönlich
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