Der Tempelmord
einzumischen. Was mit Batis geschehen würde, kümmerte sie nicht, doch war sie fest entschlossen, Buphagos auf den Weg in das Reich des Osiris zu geleiten.
Der Sturmwind hatte die dunklen Wolkenbänder am Himmel zerpflückt, so daß das silberne Licht des Horusauges ihnen für eine Zeitlang den Weg wies.
Bald erreichten sie den Fuß des Hügels, der hinter dem Artemision lag. Dort stand ein kleiner Schrein, der der Göttin Kybele geweiht war. Dicht daneben erhob sich ein niedriges Haus, in dem die Weihegaben des Schreins verwahrt wurden.
Samu wußte, daß die Priesterinnen des Artemisions den Leichnam des Mundschenks dorthin gebracht hatten. Er sollte am nächsten Abend auf einem Scheiterhaufen verbrannt werden. So hatte es die Hohepriesterin angeordnet.
Samu schauderte bei der Vorstellung an diese barbarische Sitte. Einen Körper den Flammen zu übergeben, hieß, ihn für alle Freuden, die das Jenseits bereithalten mochte, unempfänglich zu machen. Er wäre dort wenig mehr als ein Geist.
Doch die Totenverbrennung war Brauch bei den Griechen.
Vielleicht reisten ihre Toten ja an einen anderen Ort. Auch viele der ptolemaischen Pharaonen hatten an dieser alten Sitte festgehalten und ihre Körper den Flammen übergeben las s en. Hätte Buphagos noch die Zeit gehabt, einen Wunsch zu seiner Totenfeier zu äußern, so hätte auch er wahrscheinlich nach alter Sitte verbrannt werden wollen. Im Grunde kam diese Art der Bestattung ihnen sogar entgegen.
»Gib mir jetzt das Licht und hole den Toten dort vorne aus dem Haus. Ich werde hier auf dich warten.«
Batis warf Samu einen zweifelnden Blick zu. »Bist du sicher, daß wir das Richtige tun, Herrin?«
Natürlich war sie nicht sicher, dachte Samu ärgerlich. Sie taten das Notwendige, aber ob es richtig war, wußte sie nicht.
»Geh jetzt dort hinein!« herrschte sie den Krieger an. »Oder hast du etwa Angst? Vertraue dem Udjat. Es wird dich beschützen!«
Batis zögerte einen Moment. Dann gab er ihr die Lampe und legte das Leinenbündel mit dem Kopf des Mundschenks auf den Boden. Vorsichtig schlich er zur Tür. Sie war nicht verschlossen. Kurz spähte der Nubier ins Innere des Hauses, dann verschwand er durch den Türspalt.
Ob die Priesterinnen Wachen aufgestellt hatten? Samu fluchte leise. Warum hatte sie nicht früher daran gedacht? Es war üblich, einen Toten bei Nacht nicht alleine zu lassen. Zögernd blickte sie zur Tür hinüber, hinter der der Nubier verschwunden war. Sollte sie ihm folgen? Es wäre ohnehin zu spät, um ihn noch zu warnen. Vielleicht wäre es das klügste, sich davonzustehlen?
Ein merkwürdiger Schrei erklang hoch über ihr in der Luft.
War es ein Vogel? Die Priesterin mußte an die Erinnyen denken, die blutdurstigen Rachegöttinnen der Griechen. Sie brachten Wahnsinn und Tod über ihre Opfer. Ob sie wohl irgendwo hier draußen in der Finsternis lauerten?
Samu wünschte, sie hätte selbst ein Schutzamulett angelegt. Mit zitternder Stimme flüsterte sie einen Bannspruch gegen böse Geister.
Endlich öffnete sich wieder die Tür. Undeutlich konnte die Priesterin den Nubier erkennen. Er trug ein großes Bündel über der Schulter, doch hatte er auch irgend etwas unter den Arm geklemmt. Er schleppte eine riesige Amphore mit sich herum! Wahrscheinlich war sie voller Öl. Wenn das Holz feucht war, würde sie es brauchen, um den Scheiterhaufen überhaupt entzünden zu können.
Schnaufend erreichte der hünenhafte Krieger Samu.
»Waren keine Wachen bei dem Toten?«
»Oh, doch.« Batis nickte. »Eine hübsche junge Priesterin.«
Samu blickte zu dem Dolch am Gürtel des Kriegers. »Du ... du hast sie doch nicht etwa .«
Der Nubier grinste. »Das war nicht notwendig. Sie war eingeschlafen. Sie hat mich nicht bemerkt.«
Die Isispriesterin hatte nicht den geringsten Zweifel daran, daß Batis die junge Frau, ohne großes Aufheben zu machen, ermordet hätte, wäre sie wach gewesen. War es das Richtige, was sie taten? Quälende Zweifel plagten Samu. Hätte sie den Krieger fortschicken sollen, als er zu ihr gekommen war und sie um Hilfe bat? Machte sie nicht alles nur noch schlimmer? Mißmutig blickte sie zu dem blutigen Bündel am Boden. Batis konnte unmöglich noch mehr tragen. Es war nun an ihr, den Kopf des Mundschenks mitzunehmen. Wenigstens vertrieb der Sturmwind den Leichengeruch! Mit spitzen Fingern hob sie das Bündel auf und hielt es so weit wie nur möglich von sich gestreckt. Dann gab sie Batis ein Zeichen, ihr zu folgen.
Ein gewundener
Weitere Kostenlose Bücher