Der Tempelmord
gegen das Kalkgehäuse, das knirschend zersplitterte.
»Ein wenig zu feste vielleicht, aber sonst schon ganz gut«, kommentierte der Alte. »Jetzt nimm das Messer und schäl die kleine Bestie ganz aus ihrem Gehäuse.«
Wortlos folgte Philippos den Anweisungen des Färbers. Er war völlig benommen von dem Gestank, der über dem Hof mit seinen flachen Wasserbecken hing. Er hatte schon viel gerochen in seinem Leben, Lazarette, die nach Blut, Schweiß und Tod stanken, die Gerbereien in Rom, die einen so penetranten Geruch verbreiteten, daß man sich ihnen nur mit einem Tuch vor Mund und Nase nähern konnte, aber das hier übertraf alles. Es war, als würde einem die Luft abgeschnitten. Zu jedem Atemzug mußte man sich überwinden. Philippos hatte sich ein mit Duftöl getränktes Tuch vor das Gesicht gewickelt, um es überhaupt aushalten zu können, doch selbst das mochte den allgegenwärtigen Gestank nach fauligem Fisch kaum zu mildern.
»So, hier hast du die nächste Schnecke. Versuch es gleich noch einmal!«
Philippos blickte wütend zu dem Alten. Die herablassende Art des Färbers ließ ihn innerlich vor Wut schäumen. Der Kerl trug nicht einmal ein Schutztuch. Es schien, als würde er die Ausdünstungen gar nicht mehr wahrnehmen. Geduldig wiederholte der Arzt die Prozedur, zerschlug das Gehäuse und schälte den gelblichen Leib der Schnecke aus den Kalksplittern, um ihn dann in ein flaches Bassin mit Meerwasser zu werfen. Das Tier lebte noch und wand sich, seines Schutzgehäuses beraubt, in den erstaunlichsten Zuckungen.
»Sie müssen zwei Tage im Meerwasser liegen, bevor man mit ihnen weiterarbeiten kann«, brummelte der Alte vor sich hin. »Die Purpurfärberei ist ein Geschäft, für das man sich eine Menge Zeit nehmen muß und für das man einiges Fingerspitzengefühl braucht. Außerdem gibt es da noch ein paar Geheimnisse, die unseren Purpur aus Tyros besser machen als jeden anderen, den du bekommen hast. Melkart selbst hat uns Färbern vor langer Zeit die Geheimnisse verraten. Weißt du, wir können hier alles färben. Leinen, Wolle, Seide und Leder. Selbst dem kostbaren Epheser Marmor haben wir schon die Farbe des Purpurs geschenkt. Doch genug davon. Du wirst jetzt die anderen Schnecken aus ihren Häusern herausholen und in das Becken werfen. Ich gehe so lange zum Essen. Wenn du fertig bist, komm rüber ins Haus. Ich bin sicher, für dich wird auch noch was zu beißen übrigbleiben.«
Philippos nickte, doch glaubte er nicht, daß er in dem Gestank hier in der Färberei auch nur einen Happen herunterkriegen würde. Er war schon froh, wenn er sein Frühstück bei sich behielt.
Abimilkus, der verletzte Purpurtaucher, hatte dafür gesorgt, daß Philippos in der Färberei Arbeit bekam. Es ging dem Kapitän schon wieder so gut, daß er zurück auf sein Boot wollte. In der Wunde hatten sich keine üblen Säfte gebildet, und ihre Ränder waren nur leicht gerötet.
Am vorangegangenen Abend hatte sich im Haus Abimilkus eine Gruppe Taucher versammelt und heftig über die Zukunft der Stadt gestritten. Philippos hatte nicht genau mitbekommen, worum es ging, weil ihn die Frau des Kapitäns gebeten hatte, nach dem Neugeborenen einer Nachbarin zu sehen, das sich als kerngesund herausstellte. Nach den wenigen Gesprächsfetzen zu urteilen, waren die Taucher mit dem Verhalten eines der großen Handelsherren der Stadt unzufrieden.
Es schien, als sei er für ihren Geschmack zu römerfreundlich.
Philippos hatte sich darüber geärgert, daß die Taucher ihm trotz allem, was er für ihren Kapitän getan hatte, immer noch nicht trauten. Auch kam er sich hier in der Färberei des Kaufmanns Iubal fehl am Platz vor. Er war Arzt! Die Arbeit, die er hier zu machen hatte, konnte jeder Trottel erledigen. Und dann noch dieser überhebliche Greis, den man ihm zur Seite gestellt hatte, damit er ihn in das Ausnehmen der Schalentiere einwies. Mißmutig warf Philippos die letzte Purpurschnecke in das Wasserbassin und starrte zu dem niedrigen Haus herüber, in dem der Alte verschwunden war. Die Sonne stand jetzt fast im Zenit, und auf dem hinteren Hof der Färberei gab es keinen Schatten mehr. Er konnte hier unmöglich die Mittagsstunden verbringen. Allerdings hatte Philippos auch kein Interesse daran, dem Alten wieder über den Weg zu laufen und sich dessen Geschwätz anzuhören.
Der Grieche dachte an Simon und seine hübsche Tochter Isebel. Seit er auf das Boot Abimilkus gestiegen war, hatte er von dem Judäer nichts mehr gehört. Drei
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