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Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Witze, ungeheuerliche Obszönitäten, immer die gleichen Anflegeleien.
    So war es in den Sälen des ersten Stockwerks. Im Erdgeschoß spielte sich mittlerweile folgendes ab. In dem dunkeln, katakombenähnlichen Raum stauten sich ein paar hundert Menschen, die meisten irgendwelche Gefäße in den Händen, darauf wartend, daß sich die Türen öffneten. In dem Augenblick, in dem die großen Torflügel auseinandergeschoben wurden, stürzten sich diese Hunderte aus dem Haus und begannen einen wilden Wettlauf über die Höfe, dem Waschraum zu, dem Wassertrog zu, den Latrinen zu. Sie rannten, manche recht ungeschickt, es waren viele ältere, körperlich wenig trainierte Männer unter uns, sie liefen grotesk. Vor den Latrinen dann und vor den Waschgelegenheiten stellten sie sich an.
    Das Schlangestehen war eines der Merkmale des Lagers. Anzustehen hatte man vor dem Büro, wenn man eine Eingabe machen, eine Frage stellen wollte. Anzustehen hatte man, wenn man, alle vierzehn Tage, einen kleinen Betrag erhielt von dem Geld, das einem beim Eintritt abgenommen war. Anzustehen hatte man vor der Kantine, anzustehen hatte man, wenn man krank und zum Arzt beschieden war. Anzustehen hatte man, um das von der Lagerleitung zugeteilte Essen zu holen.
    Den ganzen Tag standen Schlangen vor den Latrinen. Es gab da vier Holzverschläge an dem einen, drei am andern Ende des Areals. Manchmal warteten bis zu hundert Menschen vor jeder dieser beiden Gelegenheiten. Es gab kein Wasser, man konnte sich vor dem Kot nicht retten und nicht vor den dicken Schwärmen von Fliegen. Man wartete grimmig und machte Witze. Viele waren krank, alle wurden es. Wen die Nahrung nicht krank machte, der steckte sich an beim Geschäfte der Entleerung.
    Daß so viele von uns das Konzentrationslager von Les Milles überlebten, ist eine schlagende Widerlegung unserer gängigen Anschauungen über die Notwendigkeit der Hygiene. »In faecibus nascimur, in faecibus morimur« (Im Kot werden wir geboren, im Kot sterben wir), hatte Augustin erklärt; ein melancholischer Spaßvogel hatte das Zitat an den ersten der Verschläge an geschrieben und es ergänzt: »In faecibus vivimus« (Im Kot leben wir).
    Noch jetzt, wenn ich daran denke, wie ich in dieser Schlange stand und wartete, überkommt mich ein Gefühl des Ekels, der Trauer, der Empörung, der äußersten Erniedrigung. Es gab da Einzelheiten, die ich dem Leser ersparen will, weil mich Brechreiz ankommt bei der bloßen Erinnerung.
    Die Soldaten hatten Vorrecht an den Latrinen. Kam ein Soldat, so hatte er das Privileg, sich, wenn die Reihe noch so lang war, als erster anzustellen. Einmal, als ich als siebenter oder achter stand, kam jemand und stellte sich einfach vorne hin. Es war gerade ein neuer Transport eingeliefert worden, ich glaubte, der Mann gehöre zu diesen Neuen und wisse nicht Bescheid, und bat ihn höflich, sich hinten anzuschließen. Da aber ging er zornrot mit erhobenen Fäusten auf mich zu, unflätige Drohungen ausstoßend. Es stellte sich heraus, daß er ein Soldat war, er hatte den Uniformrock abgelegt, so daß er sich von den Gefangenen nicht unterschied. Ich wartete brennend darauf, endlich in die Latrine hineinzudürfen; das lächerliche Erlebnis mit dem Soldaten bedrückte mich tief und nachhaltig.
    Im übrigen gab es selbst vor der Latrine Tröstliches. Ich erinnere mich, daß ich einmal etwa als zwanzigster in der Reihe stand und daß die übrigen drängten, ich solle ruhig als erster hineingehen. Ich habe in meinem Leben mancherlei Ehrungen erfahren. Dies war die höchste.
    Einigen unter uns war das Zeremoniöse so eingeboren, daß sie selbst unter diesen wüsten Umständen die äußern Formen der Höflichkeit nicht vergaßen. Während sie dahockten, stöhnend, beschwerlich, erkundigte sich wohl der eine beim andern: »Wie fühlen Sie sich heute, Herr Professor?« – »Wie geht es Ihnen heute morgen, Herr Geheimrat?« – »Wie haben Sie heute nacht geschlafen, Herr Ministerialdirektor?«
    In der Nähe des einen Latrinenraums gab es eine Art Pissoir. Hier gab es keine Reihenfolge, überall in diesem Winkel schlugen die Männer ihr Wasser ab, der ganze Platz war auf abstoßende Art versumpft. Auf der einen Seite war hier der Hof abgegrenzt von einer Böschung, hinter der Wachen patrouillierten, auf der andern durch hohes Gitter, hinter dem noch einmal Stacheldraht lief. Unmittelbar hinter dem Gitter aber begann ein schöner Park, und durch ihn und über ihn weg gab es Ausblicke in die liebliche

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