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Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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bald wieder auf; es war unmöglich, gesammelt zu denken in der Sonne, im Staub, im Lärm. Auch irgendwo allein zu sitzen und vor sich hin zu dösen war so gut wie unmöglich. Man wurde angesprochen, jemand hatte einem was Wichtiges zu erzählen oder einen dringlich um Rat zu fragen. Hatte man den einen fortgescheucht, so kam ein zweiter. Und selbst wenn man einmal ein paar Minuten ungestört blieb, dann machte einem das ewige Auf und Ab ringsum jede Konzentration unmöglich.
    So blieb einem nichts übrig, als zu schwatzen, den ganzen, langen Tag, immer vom gleichen, von den glei chen kleinen Hoffnungen und großen Sorgen. Die Optimisten waren optimistisch und die Pessimisten pessimistisch, und die Schwankenden glaubten heute den Optimisten und morgen den Pessimisten. Man hörte immer die gleichen Klagen über die Sinnlosigkeit des Ganzen, die gleichen Verwünschungen der französischen Desorganisation, die gleiche Empörung gegen jenes Frankreich, das wir alle ursprünglich so heiß geliebt hatten. Natürlich gab es selbst in dieser Situation Leute, die sich mühten, Frankreichs Vorgehen zu verstehen und zu verzeihen, doch ihre Objektivität war erquält.
    Zeitungen waren verboten, Briefe kamen spärlich, in den ersten vier Wochen überhaupt nicht, wir waren abgeschnitten von der Außenwelt. Das gab Anlaß zu tausend Gerüchten über unsere eigene Situation sowohl wie über die gesamte politische und militärische Lage. Die Gerüchte kamen auf am frühen Morgen beim Anstehen im Waschraum oder an der Latrine. Mit der steigenden Sonne nahmen sie an Lebenskraft zu. Etwa um drei Uhr waren sie keine Gerüchte mehr, sondern Fakten. Von vier Uhr an verwelkten sie, gegen sechs Uhr waren sie tot. Um halb sieben beschimpfte einer den andern, daß er das Gerücht geglaubt und weitergegeben habe. Am nächsten Tag begab sich dann das gleiche.
    Wer ein Gerücht ziemlich früh erfuhr, bevor alle darum wußten, kam sich wichtig vor. Das war wohl auch der Grund, warum die beiden Dolmetscher so hoch im Ansehen standen. Diese Dolmetscher waren aus unsrer Mitte erwählt worden, sie waren Internierte wie wir. Ihr Dienst war schwer. Sie waren die Vermittlungsleute zwischen der Lagerleitung und uns. Sie hatten die Befehle des Kommandanten weiterzugeben, bei ihnen hatte man sich zu melden, wenn man den Kommandanten sprechen wollte, bei ihnen hatten die Gruppenführer die Post abzuholen, und wenn etwas nicht klappte, dann wurden sie von den Offizieren angeschnauzt und von uns Internierten beschimpft. Andernteils – und das war wohl ihre Entschädigung – wurden sie von allen ständig befragt über die ständig wechselnden Chancen der Allgemeinheit und des einzelnen. Man glaubte, da sie immer in der Nähe des Lagerkommandanten seien, müßten sie alles Interessante an der Quelle erfahren. Sie erfuhren natürlich gar nichts, und wenn Leute mir wichtig erzählten, sie hätten das oder jenes vom Dolmetscher gehört und der habe es vom Kommandanten selber, dann mußte ich immer denken an jene schöne Geschichte aus dem ersten Krieg, die Geschichte jenes Pierre, Chauffeurs des Marschalls Foch. Diesen Pierre also bestürmten seine Kameraden ohne Unterlaß: »Pierre, wann geht der Krieg zu Ende? Du mußt es doch wissen.« Pierre vertröstete: »Sowie ich vom Marschall was höre, sag ich es euch.« Eines Tages kam er: »Heute hat der Marschall gesprochen.« – »Was hat er denn gesagt?« Und Pierre erwiderte: »›Pierre‹, hat er mich gefragt, ›was glauben Sie? Wann wird dieser Krieg aus sein?‹«
    Doch die Dolmetscher kamen sich wichtig vor in der Rolle dieses Pierre; ja, selbst derjenige, der gerade vom Dolmetscher was erfahren hatte, dünkte sich ein kleiner Pierre und wichtig. Manche glaubten, es tue ihrem Ansehen Eintrag, wenn sie nicht alles als erste wüßten; wenn ihnen ein neues Gerücht erzählt wurde, dann erklärten sie gegen die Wahrheit, das wüßten sie schon lange.

    So standen wir also den ganzen Tag herum und schwatzten. Nach einer Woche hatte jeder jedem alles erzählt, was es zu sagen gab. Trotzdem lief immer noch geschäftig der und jener und fragte eifrig, ob man nicht einen bestimmten andern gesehen habe, dem er etwas höchst Wichtiges mitteilen müsse.
    Nun war es natürlich nicht etwa so, daß alle Gesprä che gleich leer gewesen wären. Ich erzählte schon von meinen Unterhaltungen mit jenen kultivierten Wiener Herren über Malerei, Dichtung, Musik. Es gab auch sonst Menschen aller Art, mit denen ein gutes Gespräch

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