Der Teufel in Frankreich
schlief und wie er aß und wie er sich wusch und wie er sich anzog und wie er sich entleerte. Da konnte keiner was verstecken. Da wußte man rasch, wes Geistes Kind ein jeder war, auch ohne ihn lange um seine Ansichten befragt zu haben. Jeder hatte jeden Tag allerlei kleine Prüfungen zu erdulden; der Weise fand sich damit ab, der Jähzornige zerschmiß seine Ziegel, der Streitsüchtige, Rechthaberische beschimpfte seinen Nachbarn, der Gutmütige half, der Habgierige schwindelte.
Es war da ein österreichischer Arzt, sehr gebildet, von einer etwas krampfigen Scherzhaftigkeit, hinter der er seinen Kummer verbarg. Es war ein anderer sehr junger österreichischer Arzt da, Dr. L., ein besonders liebenswerter Mensch, sehr hilfsbereit, dem Ungeduldigen Gleichmut predigend; doch wenn man näher hinsah, erkannte man, wie zerfressen von Nervosität er selber war. Es war da unter vielen andern Schriftstellern einer, der sich als Kämpfer in Spanien und als guter Marxist bewährt hatte, der immer wieder verkün dete, die Geschehnisse, auch unsere Erlebnisse, seien notwendig und dienten, wenn auch auf Umwegen, dem Fortschritt, und der, trotz dieser seiner Überzeugung, immer wieder heimgesucht wurde von Ausbrüchen schwarzer Verzweiflung, von Anfällen dessen, was man in Frankreich »cafard« nannte. Es war da ein verwöhnter, geschmäcklerischer, lebenslustiger junger Maler, der sich an jede Hoffnung und an jedes Gerücht klammerte, selbst wenn es keiner mehr glaubte. Es war da ein alternder Architekt, zäh und gallig, nihilistisch seinem Wesen nach und überaus pessimistisch in bezug auf unsere eigene Situation. Er mühte sich, jedes Argument zu zerpflücken, das ein Zuversichtlicher vorbringen mochte; ergab sich aber die leiseste Chance, irgend etwas zu tun, was unsere Lage verbessern konnte, dann war er gleich bei der Hand.
Mit diesen allen also war man Tag und Nacht zusammen, schwatzte man Tag und Nacht.
Natürlich gab es auch politische Debatten. Arbeiter und Bauern zeigten da manchmal viel Verständnis und sahen die Dinge aus einiger Distanz. Aber immer wieder war ich erstaunt, auf was für kümmerliche Einzelmotive die meisten der andern Lagerinsassen die großen Geschehnisse zurückführten, wie sehr ihnen der Blick fürs Ganze verbaut war durch ihre eigenen Interessen, wie sehr sie die Mühe und Unannehmlichkeit scheuten, die größeren Ursachen auch nur von fern zu sehen, geschweige denn, sie näher ins Auge zu fassen. »Ein Erlebnis öffnet viele Fenster«, hat ein angelsächsischer Schriftsteller erklärt. Das scheint mir nur bedingt richtig. Meinen bürgerlichen Lagerkameraden jedenfalls blieben, trotz ihrer Erlebnisse, die meisten Fenster verschlossen, zumindest jene, die einen Blick in die Weite der Zeitgeschehnisse erlaubt hätten.
Das Mittagessen wurde sehr früh eingenommen, etwa um elf. Es gab gewöhnlich Linsen- oder Erbsen suppe mit etwas Fleisch darin. Das Essen war nicht eben schlecht, wiewohl im Geschmack beeinträchtigt durch das Brom, das man ihm beimischte, um unsre sexuellen Regungen zu dämpfen.
Was mich störte, war vor allem das Drum und Dran der Mahlzeiten. Da es keinen Platz zur Aufbewahrung und kein Wasser zur Reinigung gab, konnte man sich nicht vielfältiges Eßgeschirr leisten, man mußte für alles Eßbare, was man erhielt, das gleiche Gefäß benutzen, ein Aluminiumgefäß, das man nie recht sauber bekam. So schmeckte denn der Morgenkaffee nach dem Fett der Abendsuppe, die Suppe des Abends nach dem Morgenkaffee. Geschöpft wurden Suppen wie Kaffee aus dem gemeinsamen Eimer der Gruppe, Suppe wie Kaffee waren heiß, das hatte zur Folge, daß sich auch sogleich das Aluminiumgefäß erhitzte, mir Ungeschicktem machte es immer Mühe, das heiße Gefäß heil bis zu meinem Platz zu bringen. Die meisten hockten, während sie aßen, in ihrem Stroh auf der Erde. Alles war voll Staub, eine kleine Staubschicht lag immer über der Suppe. »Staub sollst Du fressen und mit Lust«, zitierte der oder jener. Irgendwo im Saal erhob sich bei jeder Mahlzeit Streit, weil einer glaubte, zu kurz gekommen zu sein. Es war reichlich ungemütlich.
Eine Kantine, von Anfang an versprochen, wurde nach etwa zehn Tagen wirklich eröffnet. Sie war dürftig, es war schwer, dort etwas zu erhalten. Des Morgens wurden dort nur die Fremdenlegionäre bedient; wir andern durften uns erst mittags anstellen. Dann aber war gewöhnlich nichts mehr da; die Legionäre hatten die Kantine ausgekauft, um das Erstandene mit Gewinn
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