Der Teufel in Frankreich
einem die Dunkelheit nur noch deutlicher zum Bewußtsein brachte.
Die Vorbereitungen zur Nacht waren nicht angenehm. Karl half mir. Ich stellte meine Schuhe auf den Koffer, der mir zu Häupten stand und mich von der Strohschütte des Mannes zu meinen Häupten trennte. In die Schuhe legte ich Uhr und Brille, ich bin hilflos ohne Brille.
Eine halbe Stunde nach dem Signal »Zurück ins Haus« wird ein zweites Signal geblasen werden: »Licht aus.« Vorläufig schwatzte man. Meinen Nachbarn zur Rechten, den Mechaniker aus der Saar, von dem ich bereits erzählt habe, drängte es Abend für Abend, mir sein Herz auszuschütten. Er litt unter der Gefangen- schaft, sehnte sich nach seiner französischen Frau, sehnte sich nach seiner Arbeit. Die Firma, bei der er beschäftigt war, versuchte alles, ihn herauszubekommen, doch sie kam nicht an gegen die Militärbehörde. Der Gedanke, daß er so sinnlos hier sitzen müsse, ließ ihn nicht schlafen.
Auch mein Nachbar zur Linken war des Abends sehr beredt. Er war Biolog, ein schmächtiger, schwächlicher Herr. Er litt sehr unter Asthma. Er trug es tapfer, mit scharfem, bitterm Humor. Er sprach sachlich über Politik. Über Details aus seinem Spezialfach, der Vererbungslehre, danke ich ihm interessante Aufschlüsse.
Dann also kam das Signal: »Licht aus.« Wir hatten die Lichter selber zu löschen. Wir zögerten. Endlich ging von den drei schwachen Glühbirnen des sehr großen Saales die erste aus, dann die zweite. Die letzte brannte weiter, bis ungeduldige Stimmen verlangten, daß sie endlich gelöscht werde. Zögerte man zu lange, dann kam vom Hof her die barsche Mahnung der französischen Wachsoldaten.
War dann die gefürchtete Dunkelheit da, so war sie zunächst voll von Streit darüber, ob der unverschalte Teil eines bestimmten Fensters offen bleiben oder geschlossen werden solle. Die einen erklärten, bei geschlossenem Fenster sei der Gestank nicht auszuhalten, den andern wurde es bei offenem Fenster zu kalt und zugig. »Fenster auf, Fenster zu«, ging es jede Nacht eine Viertelstunde lang mit immer steigender Heftigkeit.
War die Fensterfrage erledigt, dann schwatzten in der Dunkelheit noch immer ein bis zwei Dutzend Leute weiter. Sie lachten, sprachen über ihre Geschäfte, erzählten obszöne Witze. Sie hatten den ganzen Tag nichts getan als geschwatzt, nun benötigten sie dazu auch noch die Nacht. Viele Stimmen schrien, baten, drohten: »Ruhe, wir wollen schlafen.«
Aber es wurde nicht Ruhe. Man war gereizt und zänkisch. Immer war Streit, der habe jenen gestoßen, getreten, nehme ihm zuviel Platz weg. Manchmal wurde der Streit überaus heftig. Dann kam wohl aus einem ganz andern Teil der Dunkelheit plötzlich eine brutale Stimme: »Jetzt aber mache ich Schluß«, und man hörte jemand durch den ganzen Saal hindurch über Wehklagende fort der Ecke der Streitenden zustürmen.
Die ganze Nacht hindurch wurde nicht Ruhe. Immer wieder gab es Klagen, Flüche, Beschimpfungen solcher, die getreten worden waren, gegen diejenigen, welche, in der Dunkelheit den Weg zum oder vom Abtritt suchend, sie getreten hatten.
Er war schlimm, der Weg durch die Dunkelheit zum Abtritt. Im ganzen ersten Stockwerk gab es, wie gesagt, überhaupt kein Licht. Man mußte sich durch einen schmalen Gang zwischen den Schlafenden durchwinden und dann an einer bestimmten Stelle einen breiteren, doch sehr unebenen Gang erwischen, der, wieder durch Schlafende hindurch, nach rechts führte zu der Holzstiege, über die von unten her ein schwacher Lichtschimmer drang. Unterhalb der Holzstiege dann, im Erdgeschoß, mußte man einem Lichtschimmer nach links folgen, bis man endlich die Latrinen erreichte.
Diese vier Latrinen im Innern des Hauses waren tagsüber streng verschlossen. Sie waren eisig kalt. Die ganze Nacht hindurch stand vor ihnen die Schlange der Wartenden. Knöchelhoch watete man im Kot. Eine fast noch schwierigere Aufgabe war der Weg zurück. Es kostete Mühe, Zeit, Nerven, sich im Dunkeln über die Treppe nach seiner Strohschütte zurückzutasten. Ich habe es nie aufs erste Mal fertiggekriegt. Immer landete ich zunächst auf einer fremden Strohschütte, deren Schläfer mich erschreckt und wütend zurückstieß. Mein Nachbar zur Linken half mir, indem er seinen Regenmantel als eine Art Wegzeichen aufhängte; doch es war nicht leicht, den Mantel zu ertasten. Mein Nachbar zur Rechten, der selten schlief, rief mir wohl, wenn er mich tappen und schleichen hörte, mit unterdrückter Stimme zu:
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