Der Teufel in Frankreich
einander Witze erzählt. Einer berichtete mir, einmal sei einer der Gezüchtigten unter den Hieben gestorben; er, der Erzähler, aber habe es nicht wahrgenommen, wiewohl er ganz in der Nähe gestanden habe; denn er habe gerade mit seinem Nebenmann um ein Stück Schokolade gefeilscht. Jetzt begriff er das selber nicht mehr. Allein so war es nun einmal gewesen, alle erzählten mir das.
Ich habe selber jähe Glücksumschwünge von außerordentlichen Konsequenzen erlebt, und wenn ich sie in Ruhe bedenke, dann bleibt das Erstaunliche, wie schnell ich mich jeweils den neuen Bedingungen anpaßte. Im Lager von Les Milles erprobte ich es von neuem an mir selber und an den andern, wie ungeheuer rasch der Mensch sich akklimatisiert.
Es gab unter uns Männer, die sehr verwöhnt gewesen waren, die sich empört hatten, wenn sie einmal auf einer Reise das gewohnte Badesalz nicht hatten bekommen können, und die es als Unbill des Schicksals empfunden hatten, wenn der bevorzugte Jahrgang ihrer Weinsorte ausgegangen war. Jetzt, über Nacht, stellten sie sich um, ihre Hoffnungen und Ängste verengerten sich, ihre Ansprüche und Genüsse wurden die gleichen wie die der Proletarier unter uns. Ich habe schon gesagt, daß sich im Wesen des einzelnen wohl kaum viel veränderte. Dennoch hätte wohl ein unbefangener Beobachter festgestellt, daß wir Bewohner des Lagers eine einheitliche Masse waren, einer dem andern sehr ähnlich. Wir waren sehr unterschieden, doch wir gehorchten gleichen Gesetzen, die uns einander anähnelten. Ein amerikanischer Physiker hat erwiesen, daß das Elektron innerhalb des Atoms anderen Bewegungsgesetzen gehorcht als das Atom selber, von dem es ein Teil ist, oder mit andern Worten, daß das Atom als Ganzes andern Bewegungsgesetzen gehorcht als die Elektrone, aus denen es zusammengesetzt ist. Das gibt vielleicht ein Bild davon, wie es um das Verhältnis des einzelnen stand zu der Gesamtheit, von der er jetzt ein Teil war.
Ob wir stolz waren oder bescheiden, plump oder fein, dumm oder gescheit, offenen Hirnes oder beschränkt, unser aller Gedanken drehten sich um die nämlichen paar Dinge des Alltags, unser aller Wünsche und Befürchtungen waren die gleichen: Was gibt es heute zum Abendessen? Kommt morgen vielleicht doch eine Siebungskommission ins Lager? Wird die Kantine Erlaubnis bekommen, Mineralwasser auszuschenken? Wann werde ich wieder einmal eine Zeitung zu lesen kriegen? Wann endlich kommt Nachricht von meiner Frau? Ist es denn ganz unmöglich, einen Apfel aufzutreiben oder ein bißchen Salat? Ach, wenn man sich endlich wieder einmal richtig waschen könnte.
Aber das konnte man eben nicht. Wir zerlumpten und verschmutzten immer mehr, und so sehr sich einer vom andern durch Wesen und Werdegang unterschied, zuletzt waren wir eine einheitliche große Horde, abgerissen, verdreckt, verkommen.
Besuche durften wir nicht erhalten. Soweit unsere Angehörigen nicht die französische Staatsangehörigkeit besaßen, wäre es ihnen ohnedies nicht möglich gewesen, uns zu besuchen, da man, um seinen Wohnort zu verlassen, eines besonderen Ausweises bedurfte, den man nur in seltenen Fällen erhielt. Auch Post kam so gut wie keine. Sie ging über Paris, wurde dort zensuriert, blieb wochenlang liegen. Die meisten von uns hatten keine Ahnung, wo sich ihre Frauen und Kinder befanden. Vermuten mußten wir nach dem, was sich in Nordfrankreich ereignet hatte, daß auch sie in Konzentrationslager gebracht worden waren.
Für eine ganze Reihe von Internierten bedeutete es Vernichtung der Existenz, wenn auch die Frau interniert wurde. Sie hatten sich etwa ein kleines Geschäft aufgebaut, das jetzt die Frau besorgte. Wurde auch sie eingesperrt, dann war alles verloren. Einer hatte eine Obstkultur, es war Erntezeit, was wurde aus seinem Obst? Ein anderer hatte eine Kaninchen- und Hühnerfarm, wer kümmerte sich um seine Tiere, wenn auch seine Frau eingesperrt wurde? Ach, sie gehörten sicher nicht zur Fünften Kolonne, weder der Obst- noch der Kaninchenzüchter. Klar und kläglich offenbarte sich der ganze, heillose Unsinn des Internierungsdekrets.
Die technische Sorge des nackten Lebensunterhalts wurde selbst für Vermögende brennend. Die Bankkonten waren gesperrt. Viele hatten noch zuletzt Geld abgehoben und es ihren Frauen zur Aufbewahrung übergeben. Was sollten die Frauen jetzt damit anfangen? Im Lager wurde es ihnen bestimmt abgenommen.
Und was geschah mit den kranken Frauen? Viele waren krank oder doch durch die
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