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Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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politische Flüchtlinge und Gegner Hitlers anerkannt waren. Eifrig wogen diese Gruppen ihre Chancen gegeneinander ab. Immer wieder, trotz aller schlechten Erfahrungen, hieß es, morgen werde die berühmte Siebung und die Freilassung beginnen, und zwar werde diese oder jene Gruppe als erste berücksichtigt werden. Und verächtlich blickten die Angehörigen der privilegierten Gruppe hinab auf die traurigen Inhaber einfacher deutscher oder österreichischer Pässe.
    Wer sein Leben als Bewohner eines Landes verbringt, das niemals durch innere Wirren, Krieg, Besetzung erschüttert worden ist, der weiß nicht, welche Rolle ein Identitätspapier, ein Stempel im Leben eines Menschen spielen kann. Es ist gewöhnlich ein lächerliches Stück Papier, ein lächerlicher Stempel, von einem belanglosen Schreiber gefühllos hingesetzt. Doch wie viele Zehntausende, Hunderttausende, Millionen jagen einem solchen Stück Papier, einem solchen Stempel nach. Wie viele tausend Listen, wieviel Geld, Nerven, Leben wird aufgewendet von vielen tausend Menschen, um solch einen Stempel zu erjagen. Wie viele Schwindler leben davon, daß sie solche Stempel und Papiere legal und illegal verschaffen. Wieviel Glück und wieviel Unglück hat der berechtigte und unberechtigte Besitz solchen Papiers zur Folge.
    In dem Kampf um die Erlangung von Papieren spielen die Juristen eine große Rolle, da man annimmt, sie könnten gute Führer sein durch das Labyrinth der Verwaltungsvorschriften. Auch in unserm Lager spielten die Juristen eine Rolle. Sie setzten wichtig auseinander, daß unsere Internierung ungesetzmäßig sei und den internationalen Zusicherungen widerspreche, die Frankreich auf der Konferenz von Evian gegeben habe. Man setzte also ein Schriftstück auf, das mit Berufung auf jenen Vertrag gegen unsre Internierung protestierte. Ich mußte, als man mir dieses Dokument zur Unterschrift vorlegte, hell auflachen. Wie konnte sich in diesen Zeiten ein Mensch, der seine fünf Sinne beisammen hatte, auf internationale Zusicherungen berufen! Doch an irgendeine Hoffnung muß sich der Mensch wohl klammern.
    Der Geltungsdrang einzelner unserer Juristen spornte sie zur Tätigkeit. Noch andere Eingaben wurden gemacht. Immerzu ließen sich ein paar Leute von irgendeiner Gruppe delegieren, von den Saarländern oder von den Vätern französischer Söhne, standen bedeutend zusammen, werkelten an der Konzeption irgendeines Gesuches herum, meldeten sich schließlich feierlich beim Kommandanten. Der Kommandant hörte sie höflich an, versprach, ihr Gesuch weiterzuleiten, warf es in den Papierkorb.

    Unser Verhältnis zu den Wachsoldaten war gut. Die Leute langweilten sich, sie unterhielten sich gerne mit uns. Sie erzählten uns, was sie in den Zeitungen gelesen, was sie im Radio gehört hatten. Leider hatten sie es nur in seltenen Fällen verstanden.
    Im übrigen waren sie skeptisch, sie glaubten nicht an ihre Regierung, sie glaubten, der ganze Krieg sei Schwindel, nur dazu bestimmt, einige reiche Herren noch reicher zu machen. Sie empfanden sich nicht als Soldaten, sondern als arme Teufel, die genau wie wir in eine dumme Maschinerie hineingeraten waren. Sie waren Bauern, kleine, ländliche Handwerker, die man in Uniformen gesteckt hatte und die nichts sehnlicher wünschten, als zu ihren Frauen, Kindern, Hühnern, Äkkern zurückzukehren.
    Besonders gut war das Verhältnis der internierten Arbeiter und Bauern zu den wachehabenden Arbeitern und Bauern. Da konnte man oft einen von den Unsern diesseits des Stacheldrahts stehen sehen und schwatzen mit dem wachehabenden Soldaten jenseits des Stacheldrahts, so wie wohl ein Bauer über den Zaun schwatzt mit seinem Nachbarn. Ohne daß sie viele Worte gemacht hätten, war es diesen Deutschen und Franzosen bewußt, daß sie im gleichen Topfe schmorten.
    Merkwürdig war unser Verhältnis zu den Offizieren. Manche von uns hatten früher mit manchen von den Offizieren geschäftlich oder gesellschaftlich zu tun gehabt, entweder mit dem Hutfabrikanten, der jetzt ihr Kerkermeister war, oder mit dem Seidenfabrikanten, seinem Stellvertreter. Der Kapitän-Hutfabrikant war ihr Gast beim Abendessen gewesen, oder sie hatten mit dem Leutnant-Seidenfabrikanten in einem der guten, unpretentiösen Marseiller Restaurants diniert. Die französischen Herren wußten sich gut in die neue Lage zu finden. Sie waren freundlich und distanziert. Sie waren viel weniger Offiziere als Beamte, denen die Regierung einen unangenehmen Auftrag erteilt hatte,

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