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Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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»Hieher, hieher.«
    Eine Woche hindurch, während eines Dysenterieanfalls, hatte ich diesen Weg Nacht für Nacht mehrmals zu machen.
    Auch abgesehen von jenen bösen Wegen waren die Nächte schlimm, und der Schlummer selbst der Robustesten war kein guter Schlummer. Man spürte es ordentlich, daß der Raum voll war von quälenden Träumen. Die Ängste, die man tagsüber durch Aufwendung von Vernunft und Willenskraft hatte verscheuchen können, standen in der stöhnenden, stinkenden Nacht vag und gigantisch wieder auf. Das ging den meisten so. Wenn ich flüsterte: »Schlafen Sie?«, dann flüsterte sowohl mein Nachbar zur Rechten wie zur Linken zurück: »Nein«, und sowie der erste Morgen kam und das erste, schwache Licht durch die Spalten des Holzverschlags, sah ich den Umriß meines kleinen proletarischen Nebenmannes, wie er jämmerlich auf seinem Stroh hockte und grübelte, während der Biolog zu meiner Linken ausgestreckt und offenen Auges dalag.
    Die ganze Nacht hindurch war der dunkle, kalte Raum voll von Geräuschen, von Geschnarch und Gefurz. Da hustete einer laut und bellend, da rang einer um Atem, einer stöhnte, einer schrie im Schlaf. Da oder dort tappte sich einer zum andern, ihn tröstend, da oder dort rief man halblaut nach einem der zahlreichen Ärzte, die unter uns waren.
    Manche, die keinen Schlaf fanden, tasteten sich hinunter in die Katakomben, wo in der Nähe der Latrinen die trübe Glühbirne brannte. Zuweilen versammelten sich dort bis zu zweihundert Menschen. Wurde kon trolliert, so konnte man immer angeben, man sei auf dem Weg zur Toilette. Diese nächtlichen Versammlungen von Männern jeder Art in ihren zerlumpten Nachtgewändern, viele von den Älteren mit grotesken Zipfelhauben auf dem Kopf, hatten etwas Gespenstisches, Jämmerliches und Lächerliches. Erregt und im Flüsterton diskutierte man die Dinge, welche man schon den ganzen Tag hindurch beredet hatte. Wurde man zu laut, so kamen aus dem anstoßenden Gang, wo die früheren Fremdenlegionäre lagen, Verwünschungen und Drohungen.
    Mein Nachbar zur Rechten, der vom Asthma geplagte Biolog, tappte sich jede Nacht hinunter. Auch der dalmatinische Schriftsteller R. war gewöhnlich in diesen ersten Nachtstunden in den Katakomben zu finden, eine Weinflasche unter den Arm geklemmt, aus der zu trinken er jeden seiner Freunde einlud. Handelsgeschäfte wurden dort unten viele getrieben. Fremdenlegionäre, während ihre Kameraden nebenan über unsern Lärm schimpften, versuchten, das zu verschachern, was sie des Morgens in der Kantine errafft hatten. Andere, die Caféhausbesitzer, suchten sich auf die- ser nächtlichen Börse bei den in der Küche Beschäftigten ihren Bedarf an heißem Wasser für den nächsten Tag zu sichern. Überall in den Katakomben war Geschäft.
    Mittelpunkt des Handels war ein alter österreichischer Friseur. Er war ein sehr angesehener Friseur gewesen, er hatte mehreren Erzherzögen den Bart abgekratzt, ich glaube, sogar einem Kaiser, er versicherte, wahrscheinlich mit Recht, nichts Menschliches sei ihm fremd und er kenne alle Schliche. Auf alle Fälle wußte er denjenigen, die Geld hatten, die verschiedensten Dinge zu verschaffen, Klappstühlchen, Decken, Wein. Einmal, als er versicherte, er könne alles und jedes ins Lager schmuggeln, fragte ihn der dalmatinische Schriftsteller: »Na also, können Sie mir ein Reitpferd besor gen?« – »Gewiß«, erwiderte der Friseur, »aber nur pfundweise.«
    Ich tat alles, was ich konnte, mir den Schlaf für die Nacht zu sichern. Ich machte mir tagsüber Bewegung und setzte mich so selten wie möglich nieder. Trotzdem mußte ich mich häufig mit drei bis vier Stunden Schlaf begnügen, und mehr als fünf oder sechs Stunden Schlaf konnte ich auch in guten Nächten nicht erzielen. Die übrige Zeit lag ich wach; um mich herum war Stöhnen und Schnarchen, und in mir war ohnmächtige Erbitterung über das Jämmerliche und Unwürdige meiner Lage. Da half keine Vernunft. Ich sagte mir: Jetzt, gerade jetzt, während du so hier liegst, sitzen überall in der Welt Menschen, lesen deine Bücher über die Barbarei der Nazis, füllen ihr Herz an mit Grimm über diese Barbarei: du aber liegst hier, kläglich eingesperrt, menschenunwürdig, verdächtigt, ein Helfer jener Barbaren zu sein. Der Zorn über die Sinnlosigkeit dieses Zustands, über die Sturheit der französischen Behörden erfüllte mich bis in die Poren. Kein Argument meines Verstandes, daß ich es ja nicht mit einzelnen Menschen zu

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