Der Teufel in Frankreich
wurden Eitelkeiten verletzt, fühlten sich Leute beschwindelt, glaubten sie ihre guten Dienste übel gelohnt. Fast immer waren die Anlässe der Streitigkeiten nichtig. Da hatte einer einem andern versprochen, ihm morgen Wasser zu beschaffen, wenn der andere ihm heute seinen Anteil überlasse, doch der erste konnte oder wollte sein Wort nicht halten. Da hatte einer einem ein Stückchen Wurst geschenkt und rechnete auf einen Gegendienst. Die Erörterungen wurden mit Heftigkeit geführt; den Tag darauf schämte man sich des verschwendeten Aufwands an Worten und Gefühl.
Ursache der meisten Streitigkeiten waren die Handelsgeschäfte, die im Lager getätigt wurden. Gehandelt wurde mit allem und jedem. Die tägliche Eßration wurde verkauft. Leute, die irgendwo anstanden, an der Kantine oder selbst an der Latrine, verkauften ihren Platz. Erlaubt war, alle vierzehn Tage einen Brief abzusenden; doch wer erwarten durfte, der Adressat erkenne ihn an der Schrift, der konnte von einem, der seinesteils auf seinen Zweiwochenbrief verzichtete, das Recht einhandeln, den Namen dieses Verzichtenden als Absendernamen auf den Brief zu setzen.
Zeitungen waren verboten. Die Soldaten schmuggelten gegen Entgelt ein paar Exemplare ein. Kommerzielle Talente unter den Internierten beschafften sich ein solches Exemplar und verliehen es weiter, zehn Mal, zwanzig Mal, dreißig Mal. Es kam vor, daß einer an einem Zeitungsblatt, das er für einen oder anderthalb Franken gekauft hatte, dreißig bis vierzig Franken verdiente. In einem Winkel bildete sich ein Knäuel, viele standen Schmiere,um rechtzeitig das allenfallsige Herannahen eines Offiziers zu melden, der Verleiher der Zeitung schaute auf die Uhr, damit der Kunde die ihm zugestandenen zwei Minuten Lektüre nicht überschreite, der Leser las wohl zum Ärger des Verleihers laut vor.
Die wüstesten Streitigkeiten gab es mit und unter den Fremdenlegionären. Sie waren auch die wüstesten Händler. Es gab viel Gesindel unter ihnen, aber viele waren, wenn man sie näher besah, durchaus keine unebenen Burschen. Und alle mußte es erbittern, daß Frankreich sie so behandelte. Später gar, als wir arabische Soldaten zu Wächtern erhielten, war die Empörung allgemein über die Situation, in welche Frankreich diese seine Legionäre gebracht hatte. Sie hatten, die Legionäre, diese Marokkaner unterworfen, und nun mußten sie sich von ihnen als Gefangene bewachen lassen.
Sie waren, viele dieser Legionäre, rauh von Wort, sie schnitten, wenn sie von ihren Schlachten erzählten, gräßlich auf, sie waren geldgierig. Aber sie waren auch tapfer und auf ihre Art ehrlich. Da trafen zum Beispiel zwei Legionäre mit einem älteren Herrn ein Abkommen, daß sie ihm gegen Zahlung von dreitausend Franken zur Flucht und zur Reise da und dahin verhelfen würden. Der Herr zahlte tausend Franken an, und sie leisteten ihm treulich den versprochenen Beistand und teilten mit ihm Annehmlichkeiten und Unannehmlichkeiten der Reise. Das ging so weit, daß sie, als sie aus einem Postwagen einen Beutel mit Gold stahlen, ihm redlich den dritten Teil davon anboten. Sie waren, diese Fremdenlegionäre, laut, roh, aufschneiderisch, mutig, grob, rechthaberisch, räuberisch. Sie waren bunt wie die vielen Medaillen, welche ihnen die Republik auf die Brust geheftet hatte.
Wiewohl sich der Unterschied zwischen reich und arm im Lager spürbar machte, gab es wenig Klassenstolz. Die Gruppierung, die wir unter uns vornahmen, geschah nach andern Kriterien als nach denen des Besitzes, sie geschah nach sonderbaren, juristisch formalen Gesichtspunkten, nämlich gemäß den Aussichten der Freilassung, wie sie der einzelne seinen Papieren zufolge hatte. Je nach dem Anspruch, den wir nach der Meinung der Sachverständigen darauf hatten, bei der berühmten Siebung Gnade zu finden, zerfielen wir in verschiedene Kategorien.
Die unterste Stufe nahmen die Besitzer deutscher Pässe ein, die nächstniedrige die Inhaber österreichischer. Besser schon stand es um jene, deren deutsche oder österreichische Pässe mit Übersee-Visen versehen waren. Wieder eine Stufe höher standen diejenigen, die mit Französinnen verheiratet waren, noch höher die Väter französischer Söhne, die im Heere dienten. Sehr angesehen waren weiter die Saarländer, denn Frankreich hatte ihnen in besonders feierlicher Form Schutz zugesagt. Am höchsten aber in der Rangordnung standen die Fremdenlegionäre und wir Inhaber von Staatenlosen-Pässen, die wir von Frankreich als
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